Komm und küss mich!: Roman (German Edition)
wäre.
Überraschenderweise hatte ihr das geholfen, und in letzter Zeit schien die Wunde zu vernarben. Manchmal regte sich Wut in ihr. Wieso hatte Chloe sie so schmählich im Stich gelassen? Mit einem Heer von Gläubigern auf der Schwelle, die sich wie eine Heuschreckenplage noch über ihre geringfügigsten Habseligkeiten hermachten? Aber diese Wut hielt nicht lange an. Jetzt, da es zu spät war, begriff Francesca, warum
die Mutter in der letzten Zeit immer so müde und geistesabwesend gewirkt hatte.
Nur wenige Wochen nach Chloes Tod standen Herren in eleganten Anzügen mit amtlichen Schriftstücken und Raubtieraugen bei ihr auf der Matte. Zuerst mußte Chloes Schmuck dran glauben, dann der Aston Martin und die Gemälde. Zum Schluß war auch das Haus verkauft. Damit waren zwar die letzten Schulden beglichen, für Francesca blieben aber nur ein paar hundert Pfund. Und selbst die waren inzwischen fast aufgebraucht. Francesca war für den Übergang zu Cissy Kavendish gezogen, einer alten Freundin ihrer Mutter. Leider hatten sich Francesca und Cissy nie besonders gut verstanden, und seit Anfang September ließ Cissy deutlich durchblicken, daß Francesca ausziehen solle. Francesca wußte nicht, wie lange sie Cissy noch mit vagen Versprechungen hinhalten konnte.
Gerade bemühte sie sich, über Talmedge Butlers Witz zu lachen. Sie versuchte sich mit dem Gedanken zu trösten, daß der Geldmangel zwar lästig, aber nur vorübergehender Natur sei. Sie erspähte Nicholas, der seinen marineblauen Blazer von Gieves & Hawkes zu grauer Hose mit messerscharfer Bügelfalte trug. Sie brauchte ihn nur zu heiraten, und alle ihre Finanzprobleme wären schlagartig gelöst. Als ein absolut widerlicher Mensch ihr vor ein paar Wochen am Telefon mit allen möglichen unangenehmen Konsequenzen gedroht hatte, falls sie nicht unverzüglich eine Zahlung auf ihre Kreditkarten leistete, da hatte sie ganz kurz mit diesem Gedanken gespielt. Nein, Nicholas Gwynwyck war nicht die Lösung ihrer Probleme. Sie verachtete Frauen, die aus Verzweiflung und mangels Selbstbewußtsein einen Mann wegen seines Geldes heirateten. Schließlich war sie erst einundzwanzig. Ihre Zukunft war ihr viel zu kostbar, zu vielversprechend. Die würde sie sich doch nicht aus einer momentanen Verlegenheit heraus versauen! Irgendwas würde sich schon ergeben. Abwarten hieß ihre Devise.
»… ist Schund, den ich in Kunst verwandele.« Der Gesprächsfetzen aus dem Mund eines eleganten Mannes vom Typ Noel Cowards – kurze Zigarettenspitze und modisch gepflegtes Haar – erregte Francescas Aufmerksamkeit. Die Erscheinung verließ Miranda Gwynwyck und tauchte neben Francesca auf. »Hallo, meine Liebe!« sagte er. »Sie sind ja unglaublich schön, und ich warte schon den ganzen Abend darauf, Sie ganz für mich zu haben. Miranda meint, Sie würden mir sehr gefallen.«
Lächelnd ergriff sie seine ausgestreckte Hand. »Francesca Day«, sagte sie. »Hoffentlich hat sich das Warten gelohnt?«
»Lloyd Byron – o ja, um Ihre Frage zu beantworten. Wir sind uns schon einmal begegnet, aber Sie erinnern sich wohl kaum daran.«
»Ganz im Gegenteil, ich erinnere mich genau. Sie sind mit Miranda befreundet, ein berühmter Filmregisseur.«
»Leider nur im Sold des Yankee-Dollars …« Mit einer dramatischen Geste warf er den Kopf in den Nacken und redete zur Decke, wobei er einen perfekten Rauchring ausstieß. »Ach, der schnöde Mammon! Er zwingt außergewöhnliche Menschen, schändliche Dinge zu tun.«
Francescas Augen blitzten auf. »Und was für schändliche Dinge gehen auf Ihr Konto, falls die Frage gestattet ist?«
»Viel zu viele!« Er nahm einen Schluck aus seinem hohen Glas, das offenbar eine sehr großzügige Portion Scotch pur enthielt. »Alles an Hollywood ist schändlich. Ich bin jedoch willens, jedem noch so ekelhaft kommerziellen Produkt meinen persönlichen Stempel aufzudrücken.«
»Wie ausgesprochen mutig!« Sie lächelte ihn scheinbar voll Bewunderung an, in Wirklichkeit amüsierte sie, wie perfekt er den lebensüberdrüssigen Regisseur spielte, der aus Liebe zur Kunst Kompromisse eingeht.
Lloyd Byron betrachtete eingehend ihr Gesicht, dann verweilte sein Blick auf ihrem Mund, zwar bewundernd, aber immerhin
so wenig leidenschaftlich, daß sie wußte: Er bevorzugt die männliche Gesellschaft. Er spitzte die Lippen und beugte sich ein wenig vor, als habe er ein großes Geheimnis zu verkünden. »In zwei Tagen, Francesca-Darling, drehe ich in Mississippi –
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