Komm und küss mich!: Roman (German Edition)
Francesca einen Mann nach dem anderen atemlos begrüßte, nach dem Motto: »Oh – ich muß dir unbedingt was erzählen!« Dabei betonte sie die nebensächlichsten Dinge, auf eine Art, die Miranda rasend machte. Doch diese dämlichen Idioten schmolzen doch tatsächlich einer nach dem anderen vor ihr dahin, bis sie nur noch kleine Pfützen zu ihren Füßen bildeten. Leider war einer dieser dämlichen Idioten auch Nicky, Mirandas über alles geliebter Bruder.
Stirnrunzelnd nahm sich Miranda eine Nuß aus der opalisierenden Jugendstilschale mit Libellenmotiv, einer Arbeit aus der Werkstatt von Lalique. Nicholas war ihr ein und alles, ein wunderbar sensibler Mensch mit einer erleuchteten Seele. Nicky hatte sie ermutigt, »Die Frau als Kriegerin« zu schreiben. Er hatte ihr geholfen, ihre Gedanken weiterzuentwickeln; hatte ihr spät in der Nacht Kaffee gebracht und sie nicht zuletzt vor der Mutter in Schutz genommen, die überhaupt nicht begreifen wollte, wieso ihre Tochter mit ihren hunderttausend
Pfund Jahreseinkommen sich mit solchem Blödsinn befaßte. Es brach Miranda das Herz, dieses Trauerspiel mit anzusehen, das da vor ihren Augen ablief: Seit Monaten war sie Zeugin, wie Francesca Day von einem Mann zum anderen flog – und immer wenn sie einen Lückenbüßer zwischen zwei Affären brauchte, kam sie zu Nicky zurück. Der nahm sie jedesmal mit offenen Armen auf, vermutlich von Mal zu Mal ein wenig angeschlagener und mit weniger Begeisterung, aber immerhin.
»Wenn ich mit ihr zusammen bin«, so hatte er Miranda erklärt, »gibt sie mir das Gefühl, der klügste, brillanteste und aussichtsreichste Mann der Welt zu sein.« Abschließend meinte er trocken: »Natürlich nur, wenn sie nicht gerade schlechter Laune ist. Dann bin ich nur noch ein Stück Scheiße.«
Wie macht sie das bloß? fragte sich Miranda. Wie schaffte es diese intellektuell und auch sonst völlig nichtssagende Person, immer im Mittelpunkt des Interesses zu stehen? Miranda war sich sicher, daß es wohl hauptsächlich an ihrer außergewöhnlichen Schönheit lag. Zum Teil aber auch an ihrer Vitalität, an der Tatsache, daß es um sie herum nur so zu knistern schien. Fauler Zauber, dachte Miranda sauer. Diese Francesca hatte doch gar keinen originellen Gedanken im Kopf. Man mußte nur genau hinsehen. Sie war mittellos und ohne Arbeit, tat aber so, als sei sie wunschlos glücklich. Und vielleicht war sie das sogar – sie hatte ja Nicky und seine Millionen im Rücken, die immer auf sie warteten.
Was Miranda nicht ahnte: Sie war nicht die einzige auf der Party, die sich an diesem Abend den Kopf zerbrach. Francesca war hundeelend zumute, obwohl sie sich betont heiter und gelassen gab. Am Tag zuvor war sie bei Steward Bessert gewesen, dem Chef von Londons renommiertester Modellagentur. Sie wollte für ihn arbeiten. Karrierebesessen war sie zwar nicht, aber da es in ihren Kreisen als akzeptabel galt, Geld als Fotomodell zu verdienen, betrachtete sie diese Möglichkeit als eine
Rettung aus ihren augenblicklichen nicht unerheblichen Finanzproblemen.
Doch zu ihrem Leidwesen hatte Steward ihr erklärt, sie sei zu kurz geraten. »Egal wie schön ein Modell ist, es muß schon durchschnittlich groß sein für diese Branche. Vielleicht könnte ich in der Kosmetikbranche etwas für Sie finden – Nahaufnahmen, wissen Sie –, aber wir müßten erst mal ein paar Probeaufnahmen machen.«
Das war der Moment, in dem sie die Beherrschung verloren und ihm entgegengeschleudert hatte, sie habe schon für internationale Topmagazine posiert. Ob sie das nötig hätte, sich wie eine blutige Anfängerin für Probeaufnahmen herzugeben? Inzwischen wußte sie, daß dieser Temperamentsausbruch ein Fehler gewesen war, aber im entscheidenden Moment hatte sie ihre Zunge nicht im Zaum halten können.
Obwohl Chloe schon vor einem Jahr gestorben war, hatte Francesca immer noch Schwierigkeiten, sich mit dem Verlust der Mutter abzufinden. Manchmal wurde die Trauer sehr lebendig in ihr, sie meinte, sie mit Händen greifen zu können. Hatten die Freunde zunächst noch Sympathie bekundet, so waren sie nach wenigen Monaten offenbar der Ansicht, Francesca solle die Trauer jetzt ablegen wie die Saumlänge vom letzten Jahr. Aus Angst, nicht mehr eingeladen zu werden und allein bleiben zu müssen, wenn sie sich nicht wieder von der heiteren Seite zeigte, verdrängte sie ihren Kummer schließlich. In der Öffentlichkeit lachte und flirtete sie munter drauflos, als ob nichts
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