Komm und küss mich!: Roman (German Edition)
geschlafen. Im Halbschlaf hatte sie mitbekommen, wie Dallie ins Zimmer gekommen war. Er hatte ziemlich viel Krach gemacht, ebenso am nächsten Morgen. Als sie endlich richtig zu sich kam, war er bereits seit Stunden weg. Ganz schwach vor Hunger hatte sie in Windeseile gebadet und ausgiebigen Gebrauch von Dallies Toilettenartikeln gemacht. Danach nahm sie die fünf Dollar, die er ihr für Essen dagelassen hatte. Den Geldschein vor Augen, mußte sie eine der schwersten Entscheidungen ihres bisherigen Lebens treffen.
Jetzt trug sie eine kleine Papiertüte in der Hand, darin waren zwei Paar billige Nylonslips, eine Tube mit billiger Mascara, die kleinste Flasche Nagellackentferner, die sie hatte finden können, und eine Packung Sandpapier. Von dem bißchen Geld, das ihr noch blieb, hatte sie ein Milky Way gekauft – zu mehr langte es nicht. Da lag es nun, dick und schwer, ganz unten in der Tüte. Eigentlich war ihr nach richtigem Essen zumute – Coq-au-vin, wilder Reis; ein Riesenberg Salat mit Roquefort-Dressing, ein Stückchen Trüffelpastete –, aber sie benötigte dringend Höschen, Wimperntusche, Rettung in höchster Not für ihre verboten aussehenden Fingernägel. Auf dem Rückweg hatte sie viel Zeit, darüber nachzudenken, wieviel Geld sie jahrelang zum Fenster hinausgeworfen hatte. Schuhe zu hundert und Kleider zu tausend Dollar, das Geld verschwand wie durch Zauberei. Für den Preis eines schlichten Seidenschals hätte sie geradezu fürstlich speisen können.
Da ihr der Gegenwert eines Schals aber nicht zur Verfügung stand, wollte sie den kulinarischen Genuß, so bescheiden er
auch war, wenigstens voll auskosten. Neben dem Motel stand ein schattenspendender Baum, darunter ein rostiger Gartenstuhl. Da wollte sie jetzt sitzen, die Wärme des Nachmittags genießen und den Schokoladenriegel ganz langsam aufessen, um möglichst lange was davon zu haben. Aber erst einmal mußte sie die Katze loswerden.
Sie trampelte auf das Straßenpflaster und fauchte das Tier an, das aber ungerührt stehenblieb. »Hau bloß ab, du blödes Viech, und such dir einen anderen Dummen!« Da sich das Tier nicht von der Stelle rührte, marschierte sie resigniert zum Gartenstuhl. Die Katze folgte ihr dicht auf den Fersen. Sie beschloß, sich nicht mehr darüber aufzuregen und das erste Essen seit Samstag in aller Ruhe zu sich zu nehmen.
Sie schleuderte die Sandalen in die Luft und kühlte ihre Fußsohlen im Gras. Dann wühlte sie in der Tüte nach dem Schokoladenriegel. In diesem Moment war er ihr kostbarer als Gold. Ganz behutsam wickelte sie ihn aus, pickte mit einem angeleckten Finger ein paar Krümel auf, die ihr auf die Hose gefallen waren. Hm … köstlich wie Ambrosia … Sie schob ihn langsam ein Stück weit in den Mund, ließ die Zähne in die Schokoladenkruste und tiefer in das Nougat sinken, biß endlich ab. Noch nie im Leben hatte irgend etwas so vorzüglich gemundet. Nur unter Aufbietung aller Kräfte schaffte sie es, noch einmal ganz langsam abzubeißen, statt alles auf einmal in den Mund zu stopfen …
Die Katze stieß einen tiefen, langgezogenen Klagelaut aus, wohl eine pervertierte Art von Miauen.
Francesca funkelte die Katze an, die sie mit dem gesunden Auge unverwandt anstarrte. »Vergiß es, du blödes Viech! Ich habe es nötiger als du!« Sie nahm noch einen Bissen. »Ich bin ja sowieso nicht tierlieb, du brauchst mich gar nicht so anzuglotzen. Ich habe überhaupt nichts übrig für euch Vierbeiner.«
Das Tier bewegte sich nicht von der Stelle. Francesca bemerkte
die hervorstehenden Rippen, das stumpfe Fell. War das nur Einbildung, oder lag da eine Art abgrundtiefer Resignation in diesem häßlichen, schielenden Blick? Sie nahm noch einen kleinen Bissen. Jetzt schmeckte ihr die Schokolade nur noch halb so gut.
»Zum Teufel noch mal!« Sie brach ein kleines Stückchen ab, zerkrümelte es und legte es dem Tier hin. »Jetzt bist du hoffentlich endlich zufrieden, du elendes Vieh!«
Die Katze bewegte sich langsam auf sie zu, beugte den zerschundenen Kopf über die Schokolade und leckte jeden Krümel fein säuberlich auf, als ob sie Francesca einen Gefallen damit täte.
Dallie kam an diesem Abend nach sieben vom Golfplatz zurück. In der Zwischenzeit hatte Francesca ihre Fingernägel in Ordnung gebracht, die Mauersteine der Zimmerwände gezählt und die Schöpfungsgeschichte in der Hotelbibel gelesen. Als er zur Tür hereinkam, sehnte sie sich so stark nach menschlicher Gesellschaft, daß sie aufsprang
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