Komm wieder zurück: Roman
wieder angerufen, besonders nachdem sie die Leiche hatte identifizieren müssen. Er wusste nicht, was sie sagen wollte. Sie hatte die Kontrolle über ihr Englisch verloren. Es war alles auf Dänisch unter all dem Würgen und Schluchzen und dem einzelnen schrillen Schrei, den sie ausstieß, bevor er auflegte und zu ihr rannte. Selbst jetzt hatte er keine Ahnung, was sie gemeint hatte. Als er endlich bei ihr war, brachte sie gar kein Wort mehr heraus, darum hielt er sie und ließ sie weinen, und er empfand nicht die geringste Eifersucht, weil sie ihren toten Ehemann beweinte. Es tat ihm weh, sie so zu sehen. Er musste etwas für sie tun, und er gab sich auch Mühe, doch gleichzeitig war er hin- und hergerissen zwischen der Sorge um sie und der fiebrigen Erregung über Magnus’ Tod. Er musste ihr beistehen. Und das würde er auch. Er wischte ihr die Tränen ab, hielt sie fest und strich ihr übers Haar, bis sie sich beruhigte und Durst auf ein Glas Wasser hatte.
Anschließend erzählte sie ihm, wie ihr die Polizei alle möglichen Fragen gestellt hatte. Sie hatte auf alle mit Nein geantwortet, bis sie fragten, ob sie sich mit einem anderen Mann traf. Sie hatte ihnen die Wahrheit gesagt. Warum auch nicht? Es hatte nichts mit Magnus’ Tod zu tun.
Sidsels Gesicht erscheint auf Calders Bildschirm im Video-Besucherzentrum; er vergisst die Stahlriegel und den Stacheldraht. Er vergisst den Körpergeruch, den Gestank von Urin, vermischt mit dem von Reinigungsmitteln und Zigarettenrauch, den Übelkeit erregenden Geschmack von angebrannten Kartoffeln und wässrigem Kaffee. Er sieht nur noch ihre geröteten und geschwollenen grünen Augen.
»Die Farbe steht mir nicht sehr gut«, sagt er schließlich über seinen orangefarbenen Overall.
Sie hält sich den Hörer ans andere Ohr.
»Sid. Ich sag das jetzt, weil nur Gott weiß, was dir gerade durch den Kopf geht. Hör mal. Ich hatte nichts damit zu tun. Das weißt du auch, oder?« Er kneift die Augen mehrmals zu. Seine rechte Schulter zuckt zum Ohr hinauf.
Sidsel reibt sich die Augen, als wolle sie damit Calders Augen beruhigen. Annie hat das auch immer gemacht.
»Klar«, sagt sie. Aber er kann seine Bemerkung im
Mateo’s
, dass sie eine Lösung finden würden, nicht ungesagt machen.
»Du hast keine Ahnung, was ich durchmache«, sagt sie.
Das kommt für Calder überraschend. In Anbetracht der Sachlage erscheint das egoistisch.
In diesem Augenblick der Verwirrung betrachtet er die Reihe der Inhaftierten neben sich. Ein Rothaariger mit rotem Rapperbärtchen und grün tätowierten Fingern und Daumen, die zusammen »
I L-O-V-E«
ergeben, wedelt mit den Fingern an seinem Ohr. Ein Mann mit sauberem Haarschnitt und Trauring am sonnengebräunten Finger flüstert wirres, weinerliches Zeug in seinen Apparat.
»Es ist ein Chaos«, sagt Calder zu Sidsel. »Glaub nicht, dass mir das nicht klar ist.«
»Mich rufen sogar Reporter aus Frankreich an«, wirft Sidsel ein. »Der
National Enquirer
bietet mir Geld an und das dänische Konsulat ruft mich nicht zurück. Ich muss mich darum kümmern, dass Magnus nach Dänemark zurückgeschickt wird, wenn die Obduktion abgeschlossen ist.« Sie bricht ab und hält eine Hand vor die Augen, als ob sie Magnus tot vor sich sähe. »Sein Vater ruft mich zu jeder Tages- und Nachtzeit an. Er denkt, ich hätte ihn umgebracht oder dich dazu angestiftet.« Bevor er etwas sagen kann, sieht sie an die Decke und legt einen anderen Gang ein. »Dann ist da noch das Haus. Das hat mir sowieso nie gefallen. Magnus bestand darauf, es von einem holländischen Architekten entwerfen zu lassen. Er hat eine große Hypothek aufgenommen, und jetzt muss ich diezurückzahlen.« Calder öffnet den Mund. »Und draußen ist es eiskalt!«, sagt sie. »Weißt du eigentlich, wie kalt es ist? Man muss das Wasser aus dem Pool ablassen, sonst gefriert es. Ich weiß nicht, wie man Wasser aus einem Pool ablässt. Was glaubst du, wie lange es dauert, das Haus zu verkaufen?«
Sie ist manisch. Er tippt auf Schlafmangel.
»Und Siemens. Man sollte doch meinen, die Personalabteilung sieht, dass ich Hilfe brauche, aber die sagt mir nur, für eine Lebensversicherung war er nicht lange genug bei ihnen beschäftigt.«
»Brauchst du Geld?«, fragt Calder.
»Nein. Nein.« Sein Einwurf hat sie gebremst. »Ich kann mir was aus dem Café nehmen.« Sie wirft einen Blick auf ihre Uhr. »Ich muss wieder an die Arbeit. Jeden Tag lächle ich Touristen an und hoffe, dass keiner die Lokalzeitungen
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