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Komm wieder zurück: Roman

Komm wieder zurück: Roman

Titel: Komm wieder zurück: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Reed
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sah zur Seite hoch. Eine Reihe abgezogener Hasen hing von einem Balken, jeder an seinen Ohren aufgehängt, und ihr wurde so schlecht bei diesem Anblick, als wären es Babys. Ihre steifen Muskeln glänzten vor dunklem Blut. Fellreste klebten an den Ohren, aber die Pfoten waren sauber abgesägt. Annie senkte den Blickund entdeckte die Felle, die auf einem leeren Gestell ausgebreitet lagen. Daneben lagen Hasenpfoten aufgereiht wie Muscheln auf einer Fensterbank.
    »O Gott!« Calder schaute mit zugehaltener Nase hoch. »Was wollen die denn damit anfangen?«
    »Keine Ahnung.« Sie dachte an das Geräusch, das entsteht, wenn ein Tier gehäutet wird. Onkel Calder hatte mal einen Hirsch in seiner Garage abgezogen. Es klang wie Klebeband, das von einer Rolle gerissen wird, festklebt und wieder gerissen wird. Onkel Calder schien das nicht zu stören. Annie hatte sich die Ohren zugehalten und sich bei dem Gedanken geschüttelt, die eigene Haut zu verlieren. Sie dachte daran, wie nur wenige Stunden zuvor dieser Hirsch mit den anderen durch den Wald gelaufen war, geäst und frische Luft geatmet hatte, völlig ahnungslos, was passieren würde.
    In dem Moment hatte sie ein bisschen Mitleid mit den Pinckney-Jungs. Es kam ihr so vor, als müssten sie Tag für Tag miterleben, wie einem Tier das Fell über die Ohren gezogen wurde. Man musste ja zwangsläufig fies und gemein werden, wenn man in einem Schweinestall arbeitete, grundlos geschlagen wurde und in einem Haus mit Löchern im Fliegengitter und toten Hasen in der Scheune wohnen musste. Sie dachte daran, wie sie zu ihrem Elend beigetragen hatte, indem sie ihnen mit dem Ast auf den Kopf geschlagen hatte. Dies war ihr Leben. Sie hatten keine Wahl. Sie mussten jeden Tag aufstehen und weitermachen.
    Plötzlich sehnte sich Annie heftig nach ihrer Mutter. Nach dem Jasminparfüm, ihren Fingern in Annies Haar, wie sie Annie zur Schule schickte und ihr sagte, sie solle diesen Menschen eine Lektion erteilen.
    Die Haustür knallte wieder zu, und sie warteten. Als nichts kam, hockten sie sich ganz tief auf den Boden und versteckten sich zuerst hinter dem Traktor auf dem ungepflasterten Hof, dann hinter dem alten Pick-up mit den platten Reifen und hinter einer Holzklappe, und schließlich hinter einer Reihe von Buschpalmettos am Rand des Wäldchens, das nach Hause führte.
    Bis in die Küche war das Schluchzen zu hören. Dann folgte ein so heftiges Wehklagen, dass es noch tagelang in Annies Kopf nachhallte.
    Ihr Vater war schon seit Tagen nicht mehr zu Hause, aber erst jetzt, als Annie und Calder von der Pinckney-Farm zurückkehrten, erfasste Annie die ganze Tragweite seiner Abwesenheit. Sie war allgegenwärtig, und sie war endgültig.
    Sie fanden die Mutter auf der Bettkante sitzend, den gesenkten Kopf zur Wand gedreht. Sie hielt ein zerknülltes Taschentuch in ihrer Faust. Als sie Calder auf seinen Hacken wippen hörte, drehte sie sich um.
    Annie wurde von einem so tiefen und mächtigen Schmerz erfüllt, dass ihr die Arme und Beine zu zittern begannen.
    »Seine Stimme«, sagte ihre Mutter, als ob sie mitten in einem Gespräch gewesen wären. Ihr Gesicht war nass und aufgedunsen. So hatte Annie es noch nie gesehen. »Von seiner Stimme war ich immer so angetan.«
    Annies Hände schwitzten. Die blassrosa Wände ließen ihre Beine wanken. Sie ließ sich neben ihrer Mutter auf das Bett fallen.
    »Ich konnte seinen ganzen Slang nie ab, nur dieser weiche Singsang, wenn er
Flahrida
sagte, klang so, als rollte es ihm von der Zunge.« Sie wedelte mit der Hand, dann hielt sie inne und blickte Annie an, als sähe sie diese zum ersten Mal. »So wie du und Calder das aussprecht.«
    Der Schmerz bohrte sich tief und heiß in Annies Magen.
    »Das bleibt mir wenigstens.«
    »Was hat Daddy denn?«, fragte Calder, er stand immer noch an der Tür.
    Annie richtete sich auf.
    Ihre Mutter schien es nicht zu hören.
    »Was ist los?«, fragte Calder.
    Ihre roten Augen waren wieder nass. »Er konnte den Tisch nicht fertig bauen.«
    Stumm saßen sie da. Man hörte nur Schniefen.
    Annie hatte Angst, ihre Mutter anzufassen. Es war, als wären sie sich nie begegnet.
    »Was für einen Tisch denn?«, fragte Annie schließlich. »Hm?«
    »Von welchem Tisch redest du?«
    »Es sollte eine Überraschung werden.« Sie schüttelte den Kopf in Richtung Decke, als ob sie mit etwas Lächerlichem konfrontiert würde. »Er hat gerade an einem neuen Tisch für unsere Küche gearbeitet.«
    Ihr Vater hatte über Projekte in seiner

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