Komm wieder zurück: Roman
zwanzig Autos den Verkehr in beiden Richtungen lahmgelegt, eine Stromleitung nach der anderen reißt. In ganz Florida wird empfohlen, zu Hause zu bleiben, und nur sie fährt auf den verschneiten Landstraßen herum und hat praktisch das ganze Land für sich allein. Sie passiert Wohnsiedlungen mit Anlagen voller spielender Kinder mit ihren Armeen schiefer Schneemänner. Sie fährt an leeren Einkaufsmeilen vorbei, an Autohändlern mit glitzernden Fähnchen und Ballons, die sich als Einziges dort bewegen. Doch erst als sie die kurvigen Nebenstraßen von Wentzville Springs inmitten eines verschneiten Tannenwaldes erreicht, hat sie das Gefühl, dort zu sein, wo sie hingehört.
Sie scheut sich zu blinzeln, aus Angst, es könnte sich als optische Täuschung entpuppen, als ein toller Streich vor einer lebensgroßen Kulisse, ein über Nacht gemalter Nordpol-Themenpark. Doch es ist nichts von alledem. Die hohen weißen Wipfel sind so real, dass sie beinahe riecht, wie der gefrorene Tannenduft durch die Lüftung hereinzieht. Sie öffnet das Fenster und atmet so tief ein, wie ihre Lunge es ihr gestattet. Saubere, gefrorene Tannen.
Der Tank des Land Cruisers ist fast leer, also hält sie an einer scheinbar verlassenen Tankstelle. Falls sie geöffnet hat, wird sie ein Vermögen nur für den Service ausgeben, und das ist in Ordnung. Sie hat Lust, alles, was sie hat, auszugeben, damit sie wieder neu anfangen kann mit dem Geld, das sie ohne Owens Hilfe verdient hat.
Eine rote runde Zapfsäule steht allein mitten in der Betonauffahrt. Der Automat ist leer. Eine einzige Dose Motoröl steht im Fenster neben einem handgeschriebenen »Geöffnet«-Schild. Nachdem Annie geklingelt hat, fährt sie weiter vor und hält an. Einen Moment lang passiert gar nichts. Sie will gerade wieder wegfahren, als eine alte Frau mit starkem Unterbiss in der Tür erscheint, als wäre sie gerade einem Märchen entsprungen. Sie lächelt und zeigt echte Zahnlücken, während sie mit einer ausholenden Armbewegung um den Wagen herumtrippelt und rasch Annies Tank füllt. Als sie fertig ist, geht sie zur Fahrerseite und hält die Hand auf. Sie trägt ein Kopftuch, so schlicht und braun wie Fleischerpapier. Annie zahlt in bar und rundet mit einem Trinkgeld auf vierundzwanzig Dollar auf.
»Gibts hier nicht irgendwo ein Fischlokal?«, fragt Annie.
»Dasss gab es früher mal«, sagt die Frau. Ihr Unterkiefer verwandelt jedes S in einen Zischlaut. Sie deutet mit einem dicken gelb verfärbten Fingernagel auf die Waldstraße. »Dasss issst jetzt die
Bull Creek Tavern
«, sagt sie. »Der bessste Grillbarsch in ganzzz Florida.«
»Danke«, sagt Annie.
»Die gehört jetzzzt
Frank
«, fügt die Frau zischend hinzu.
Der Parkplatz der
Bull Creek Tavern
ist voller Trucks und SUVs. Vielleicht ist es noch dasselbe Lokal, vielleicht auch nicht. Die Luft riecht nach brennenden Scheiten, Mesquite und Holzkohle und ist erfüllt von Gelächter und lauten Stimmen, die aus der Gaststätte herausdringen.
Annie öffnet die Tür zu einem Schankraum voller Männer mit Bier in der Hand und Frauen, die Speiseplatten herumreichen wie bei einem Picknick oder einer Familienfeier. Weihnachtsbeleuchtunghängt in allen Fenstern. Kleinkinder, dunkelhaarige Zwillinge, spielen zwischen Frauen, die weihnachtlich rot und grün gekleidet sind, während eine Männerstimme sich über die anderen erhebt, um mitzuteilen, dass Bill Greene zum Friedensrichter berufen wurde. In der Mitte steht ein Kreis von Männern, die mit ihren Bierflaschen darauf anstoßen. »Bravo!«, schreien sie und trinken darauf, während sie um einen riesigen offenen Kamin aus Stein herumstehen, dessen Feuer eine Bullenhitze verbreitet.
Annie steht an der Tür und hat das Gefühl, ein ungebetener Gast auf einer fremden Party zu sein.
Hier sieht es aus, als wäre die Zeit stehen geblieben. Die ganze Einrichtung ist aus unbehandeltem Kiefernholz, es riecht nach abgestandenem Bier, auf der Theke gibt es neben Gurkengläsern hart gekochte Eier und Erdnüsse. Die grün schillernde Jukebox leuchtet neben dem Billardtisch, der im gedämpften Schein einer Tiffany-Lampe steht. Otis Redding singt gerade »White Christmas« aus allen Ecken des Raums, mit mehr Sex und Soul und Inbrunst, als jemals einer in diesen Song gelegt hat. Eine kleine provisorische Bühne ist an der hinteren Wand aufgebaut, und sie malt sich aus, wie aufgeregt eine örtliche Band hier bei ihrem ersten Liveauftritt ist.
Ein stämmiger Mann mit grau meliertem Haar
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