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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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die beiden abgetrennte Köpfe besichtigt hatten. Doch hatte sie das offensichtlich nicht besonders verstört, und sie waren ganz aufgeregt. Astors neues Ziel, eine Miniaturausgabe meiner Schwester Deborah zu werden, schien Rita so abzulenken, dass sie nicht einmal annähernd in gerechten Zorn verfiel. Immerhin konnte eine frühzeitige Berufswahl später viel Zeit und Ärger sparen.
    Doch ganz offensichtlich stand Rita selbst unter Hochdruck und uns ein Marathongespräch bevor. Normalerweise hätte ich einfach gelächelt und genickt und sie reden lassen. Aber ich war nicht in der Stimmung für Normalität. Während der beiden vergangenen Tage hatte ich nichts anderes gewollt als ein ruhiges Plätzchen und Zeit, um darüber nachzudenken, wohin mein Passagier verschwunden sein mochte, und war stattdessen von Deborah, Rita, den Kindern, meiner Arbeit, ja einfach allem in alle möglichen Richtungen gezerrt worden. Meine Tarnung hatte die Kontrolle über das Ding übernommen, das sie verbergen sollte, und das gefiel mir nicht. Aber wenn ich es an Rita vorbei zur Tür hinaus schaffte, hätte ich endlich ein wenig Zeit für mich.
    Und so täuschte ich dringende Arbeiten vor, die nicht bis Montag warten konnten, schlüpfte aus der Tür und fuhr zum Büro, wobei ich mich am relativen Frieden und der Gelassenheit des samstagabendlichen Verkehrs in Miami erfreute.
    Während der ersten Viertelstunde der Fahrt wurde ich das Gefühl nicht los, beschattet zu werden. Lächerlich, ich weiß, aber ich hatte keinerlei Erfahrung damit, nachts allein zu sein, und deshalb fühlte ich mich sehr verwundbar. Ohne den Passagier war ich ein zahnloser Tiger mit verstopfter Nase. Ich hatte das Gefühl, langsam und dumm zu sein, und das Kribbeln in meinem Nacken ließ nicht nach. Es war die allumfassende Empfindung drohenden Horrors, das Gefühl, mich umdrehen und meiner Spur nachschnüffeln zu müssen, weil dort etwas gierig lauerte. Und irgendwo am Rand hallte noch immer das entnervende Echo der Traummusik, ließ meine Füße unfreiwillig zucken, als wollten sie ohne mich los.
    Es war ein furchtbares Gefühl, und wenn ich auch nur das geringste Einfühlungsvermögen besäße, hätte ich sicherlich einen Moment grauenhafter Erkenntnis durchlitten, eine Hand gegen meine Stirn geschmettert und wäre zu Boden gesunken, dabei Worte der Reue und Qual murmelnd, wegen all der Male, die ich dieses grauenhafte Gefühl in anderen geweckt hatte, weil ich sie verfolgte. Aber ich bin nicht für Qualen gebaut – zumindest nicht für eigene –, und so konnte ich an nichts anderes denken als an mein Riesenproblem. Mein Passagier war verschwunden, und ich war leer und schutzlos, falls ich wirklich verfolgt wurde.
    Es musste reine Einbildung sein. Wer sollte denn Dexter, den Diensteifrigen, verfolgen, der sich mit fröhlichem Lächeln durch seine vollkommen normale künstliche Existenz schleppte, mit fröhlichem Lächeln, zwei Kindern und einer neuen Hypothek zugunsten eines Caterers. Nur um mich zu vergewissern, warf ich einen Blick in den Rückspiegel.
    Selbstverständlich niemand; niemand lauerte mit einer Axt und einem Stück Töpferware mit Dexters Namen darauf. Auf meine einsamen alten Tage verblödete ich allmählich.
    Auf dem Randstreifen des Palmetto Expressway stand ein Wagen in Flammen, und die meisten Fahrer begegneten dem Hindernis entweder, indem sie auf dem linken Randstreifen vorüberröhrten oder sich auf die Hupe lehnten und brüllten. Ich nahm die Abfahrt und fuhr an den Lagerhäusern in der Nähe des Flughafens entlang. An einem Lagerhaus direkt hinter der 69th Avenue schrillte endlos der Einbruchsalarm, während drei Männer ohne jedes Anzeichen von Hast Kartons in einen Lastwagen luden. Ich lächelte und winkte; sie ignorierten mich.
    Ein Gefühl, das ich gewohnt war – in letzter Zeit ignorierte jeder den armen, leeren Dexter, natürlich außer demjenigen, der mich entweder verfolgte oder überhaupt nicht verfolgte.
    Aber da wir gerade leer erwähnen, die Art, wie ich mich vor einer Konfrontation mit Rita gedrückt hatte, war zwar ausgesprochen geschmeidig gewesen, hatte mich aber um mein Abendessen gebracht, etwas, das ich nicht zu tolerieren bereit war. Im Augenblick wollte ich fast genauso dringend essen wie atmen.
    Ich hielt vor einem Pollo Tropical und bestellte ein halbes Hähnchen zum Mitnehmen. Der Duft erfüllte umgehend das ganze Auto, und die letzten paar Meilen gelang es mir nur mit Müh und Not, den Wagen auf der Straße

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