Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
Vom Netzwerk:
Bedeutung, was vor Tausenden von Jahren am anderen Ende der Welt geschehen war? Selbst angenommen, König Salomon hätte einen der originalen Dunklen Passagiere besessen, wie half mir das, wieder zu meinem reizenden tödlichen Ich zu werden? Was fing ich nun eigentlich mit diesen faszinierenden historischen Überlieferungen an? Nichts davon verriet mir, woher der Passagier stammte, was er war oder wie ich ihn wieder zurückbekam.
    Ich wusste nicht weiter. In Ordnung, es war eindeutig Zeit, aufzugeben, mein Schicksal zu akzeptieren, mich der Gnade des Gerichts zu unterwerfen, die Rolle von Dexter, dem ruhigen Familienmenschen und ehemaligen Dunklen Rächer anzunehmen. Mich mit der Vorstellung abzufinden, niemals wieder die feste kühle Berührung des Mondlichts auf meinen elektrisierten Nervenenden zu spüren, wenn ich wie eine Inkarnation kalten scharfen Stahls durch die Nacht glitt.
    Ich versuchte an etwas zu denken, das mich bei meinen Ermittlungen zum Erklimmen größerer geistiger Höhen inspirierte, doch alles, was mir einfiel, war ein Teil aus Rudyard Kiplings Gedicht: »Wenn du den Kopf behältst und alle anderen verlieren ihn«, oder zumindest so ähnlich. Es schien nicht genug. Vielleicht hätten Ariel Goldman und Jessica Ortega Kipling auswendig lernen sollen. Jedenfalls hatte meine Suche mich kein Stück weitergebracht.
    Prima. Wie konnte man den Passagier noch nennen? »Sardonischer Kommentator«, »Warnsystem«, »innerer Cheerleader«. Ich probierte es aus. Einige der Ergebnisse für »innerer Cheerleader« waren verblüffend, hatten aber nichts mit meiner Suche zu tun.
    Ich versuchte es mit »Beschatter«, »innerer Beschatter«, »dunkler Beschatter«, »verborgener Beschatter«.
    Eine letzte Spekulation, die vielleicht davon beeinflusst wurde, dass meine Gedanken sich wieder dem Essen zuwandten, aber dennoch gerechtfertigt: »hungriger Schatten«.
    Erneut waren die Ergebnisse hauptsächlich New-Age-Gefasel. Doch ein Blog stach mir ins Auge, und ich klickte ihn an. Ich las den ersten Absatz, und wenngleich ich nicht wirklich »Bingo!« rief, war dies doch die Kernaussage meiner Gedanken.
    »Einmal mehr in die Nacht mit dem hungrigen Schatten«, begann er. »Durch die dunklen Straßen schleichen, die von Beute wimmeln, langsam durch das wartende Gelage fahren und das Zerren der Flut des Blutes spüren, die bald steigen wird, um uns mit Freude zu überschwemmen …«
    Nun. Die Prosa war vielleicht ein bisschen schwülstig. Und der Teil mit dem Blut ein klein wenig eklig. Doch abgesehen davon war es eine gute Beschreibung dessen, was ich empfand, wenn ich mich zu einem meiner Abenteuer aufmachte. Es schien, als hätte ich einen Verwandten im Geiste gefunden.
    Ich las weiter. Alles entsprach den Erfahrungen, die ich gemacht hatte, wenn ich in gieriger Erwartung durch die Nacht streifte, während die innere Stimme zischend Anweisungen in mein Ohr flüsterte. Doch als ich an die Stelle kam, an der ich zugestochen und geschlitzt hätte, verwies dieser Erzähler auf »die Anderen«, gefolgt von drei Buchstaben eines Alphabets, das ich nicht kannte.
    Oder doch?
    Fieberhaft durchwühlte ich meinen Schreibtisch auf der Suche nach dem Ordner mit den Akten zu dem Fall der kopflosen Mädchen. Ich riss die Fotografien heraus, blätterte sie durch – und da war es.
    Mit Kreide auf die Zufahrt von Dr. Goldmans Haus geschrieben, dieselben drei Buchstaben, die aussahen wie ein verunglücktes MLK .
    Ich warf einen Blick auf den Bildschirm: Sie stimmten überein, kein Zweifel.
    Das konnte kein Zufall sein. Es musste bedeutsam sein; vielleicht war es sogar der Schlüssel zum Verständnis dieses Durcheinanders. Ja, höchst bedeutsam, mit einer einzigen winzigen Fußnote: Bedeutsam für was? Was bedeutete es?
    Doch am wichtigsten war, warum suchte diese spezielle Ahnung mich heim? Ich war hierhergekommen, um an meinem persönlichen Problem eines verschwundenen Passagiers zu arbeiten – war spätabends gekommen, damit weder meine Schwester noch andere Erfordernisse meiner Arbeit mich stören konnten. Und jetzt schien es, als müsste ich, um mein Problem zu lösen, an Deborahs Fall arbeiten. Was war der Grund dafür, dass heutzutage nichts mehr fair war?
    Nun, falls Jammern belohnt wurde, hatte ich das bis jetzt in einem Leben voller Leiden und verbaler Gewandtheit noch nicht erlebt. Deshalb konnte ich genauso gut nehmen, was geboten wurde, und abwarten, wohin es führte.
    Erstens, welche Sprache gab die Schrift wieder?

Weitere Kostenlose Bücher