Kommissar Joakim Hill - 01 - Die zärtliche Zeugin
LIVE?«, fragte sie mit einem frechen Lächeln.
»Und?«
»Dann brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Der gehört dem Livesexpaar Ole und Mai Svendsen, die ihn für ihre Sexvideofirma mieten. Im Augenblick sitzen sie. Gestern Abend eingebuchtet worden.«
»Du machst Witze! Heutzutage wird doch niemand mehr wegen Livesex eingebuchtet?«
»Doch, wenn man ihn im Knutpunkten betreibt. Sie haben sich bei McDonalds in das Meer aus bunten Bällen gestürzt und vor jubelndem Publikum eine Nummer geschoben.«
Hill grinste, obwohl er als Polizeibeamter durchaus einsah, dass es sich um einen ernsthaften Verstoß handelte. Schließlich hätten die Kinder Angst bekommen können.
»Sie wurden sofort festgenommen«, fuhr Susanna munter fort, »aber ihr Anwalt behauptet heute, dass es sich keineswegs um ein Sexualdelikt handelt.«
»Nicht?«
»Nein! Das war eine Installation. Die avancierte Form von moderner Kunst. Wenn es ihm gelingt, das Ganze auf die kulturelle Ebene zu hieven, dann sind sie vielleicht vor dem Wochenende schon wieder auf freiem Fuß, aber kaum früher.«
Er konnte sein Lachen nicht länger unterdrücken, während er auf dem vermieteten Parkplatz des Livesexehepaars einparkte, den Motor abstellte und zur Sicherheit noch die Handbremse anzog.
»Klar, dass es sich da immer schon um eine Installation gehandelt hat!«, pflichtete er bei, »aber kaum um eine sonderlich-moderne.«
Wie ein ganz gewöhnliches Paar gingen sie nebeneinander auf den Eingang von Haus 17 C zu. Er war wieder richtig guter Laune, und das hatte er Susanna zu verdanken. fetzt mussten sie nur noch die Wohnung des Ermordeten finden.
2
Für einen Mann wie Alexej Vladimir Igorin war es wirklich nicht leicht, sich in Schweden aufzuhalten, aber ihm blieb einfach nichts anderes übrig.
Das Klima war drückend, die Leute waren dumm und feige und Flora und Fauna höchst uninteressant. Besonders hier im Süden. Kein Wunder, dass man hier eine Grippe nach der anderen erwischte. Schließlich gab es keinen Tundrawind, der in regelmäßigen Abständen die Lungen reinigte.
Die Magie der Tundraluft war bedeutend, das wusste er. Sie verlieh dem menschlichen Organismus Stärke und Widerstandskraft, das hatte zumindest seine alte Babuschka immer behauptet. »Nordwind, Eis und Hagel machen aus dem Knaben einen Mann«, hatte sie stets kichernd erklärt, »weiche Kissen und zu viele Frauen berauben jeden Mann seiner Kraft, aber Schnee und Kälte machen ihn zu einem Riesen unter Riesen.«
Daran war sicher vieles wahr, dachte er oft, denn als Baby hatte man ihn während einer Zeremonie bei zwanzig Grad minus nackt in eine Schneewehe gelegt, um ihn abzuhärten. Und man hatte ihn erst wieder ins Haus geholt, als seine Nase schon fast blau gewesen war.
»So, so«, soll seine alte Babuschka damals gesagt haben, »entweder ist er morgen tot, oder aus ihm wird ein Kraftprotz!«
Und was für einer – fünfzig Jahre später! Groß und eindrucksvoll, Respekt einflößend und dominant, wie er das schon von Kindheit an gewesen war. Elegant war er ebenfalls mit seiner rabenschwarzen Mähne, die an den Schläfen distinguiert ergraut war. Kräftige Augenbrauen, breite Schultern und ein Würde verleihender Bauch machten ihn zum Liebling der Frauen sowohl im Salon als auch im Hurenhaus.
Er hatte alles, was man nur begehren konnte, außer seiner geliebten Heimat.
Hier musste er, er, der große Alexej Vladimir Igorin, sich jetzt in einem Einfamilienhaus im Malmövorort Limhamn in der Nähe des Segelboothafens verstecken und darauf warten, dass seine Handlanger das Geld ablieferten. Und das, obwohl er auf seiner geliebten Datscha Drevjdaja zu Hause am Baikalsee hätte Hof halten können!
Aber ohne Opfer, ohne Prügel und ohne Kampf hätte er die Position, die er heute innehatte, auch nie erreicht. Und er wollte sie behalten. Die Geschäfte hatten in letzter Zeit zwar ohne seine Mithilfe eine Wendung zum Besseren genommen, aber er ließ sich von niemanden die Früchte dessen, was er selbst geschaffen hatte, wegnehmen.
Von niemandem.
Die Einzigen, die noch über ihm standen, waren die »Bankiers«, die Chefs in der Heimat. Eines Tages, er wusste es, früher oder später würde er einer von ihnen sein. Er würde wieder die frische Luft atmen, die über die samtblauen Wogen des Baikalsees dahinstrich, und russischen Basstenören dabei zuhören, wie sie die schönen Volkslieder seiner Heimat sangen. Er würde wieder unter richtigen Männern sein – Männern wie er
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