Kommissar Joakim Hill - 01 - Die zärtliche Zeugin
alle drei schon nicht mehr ganz nüchtern waren, führten am anderen Ende der Bar eine lautstarke und lebhafte Diskussion. Sie redeten sich in Rage, Argumente und unlogische Gegenargumente wurden vorgebracht, und das Problem kam seiner Lösung nicht näher.
Hatte das richtige Lied wirklich beim Eurovisionsschlagerfestival gewonnen, oder war alles ein abgekartetes Spiel gewesen?
Der Barkeeper hinterm Tresen hörte mit halbem Ohr zu. Bald würde er eine wohl verdiente Pause einlegen, während die Fähre im Hafen lag.
Lautlos schloss er die Kasse, hängte ein Gläserhandtuch auf und warf einen skeptischen Blick auf die junge Frau, die an ihm vorbeihastete und es so eilig zu haben schien, zur Herrentoilette zu kommen. Aber was spielte das schon für eine Rolle – in seinem Beruf hatte man alles schon gesehen!
Als Katharina zur Tür kam, sah sie genauso verärgert auf das Schild wie die Männer vor ihr:
Es wird geputzt.
Bitte benutzen Sie die Toilette
eine Treppe tiefer.
Verdammt!
Er musste dort unten sein, wenn er sich überhaupt noch auf der Fähre befand.
Die ersten Passagiere waren bereits von Bord gegangen und hatten die lange Seufzerbrücke betreten, die zum Zoll und zur Ankunftshalle führte. Einige Tüten klirrten verräterisch, aber das war bei dem allgemeinen Lärm kaum zu hören, und um einzelne Flaschen kümmerten sich die Zöllner mittlerweile auch kaum noch. Sie hatten es mit bedeutend ernsteren Problemen zu tun.
Catharina eilte auf die Treppe zu, die zum Ankunftsdeck führte, da sie um alles in der Welt nicht die Chance verpassen wollte, jetzt von der Fähre zu kommen, obwohl sie dem »Kommissar« doch noch gern eine letzte Gelegenheit gegeben hätte.
Alles wirkte recht seltsam. Schließlich war er Polizist und überhaupt? Dass er die Stirn hatte! Sie würde ihn doch schneller finden als ihm …
Sie verharrte auf der obersten Treppenstufe und warf einen nachdenklichen Blick auf die Herrentoilette.
Es gab Leute, die konnten einfach nicht lesen!
Ein großer, grobschlächtiger Bursche hatte begonnen, gegen die Tür zu hämmern. Ein Riese von der Körperfülle eines Pavarotti mit einem dringlichen Bedürfnis. Er hielt sich krampfhaft im Schritt, um ein Unglück zu verhindern.
Er schrie: »Open maken, snel! «
Das klang holländisch.
Um irgendein Schild an der Tür kümmerte er sich nicht. Schließlich sah er ja, dass sich hinter dem dicken Milchglas Schatten bewegten, und da rein wollte er!
»Open maken! Nu direct! «
Vielleicht war er Ringer? Wie sollte sie das wissen? Jedenfalls zog er mit gewaltiger Kraft an der Klinke, sodass sich die Tür fast durchbog.
Heftig und unerwartet flog sie auf – als sei innen ein Riegel aus seiner Verankerung gerissen worden.
Das war wirklich Pech für den Mann aus Holland. Er wurde nach hinten geschleudert und prallte mit seinem breiten Rücken gegen das große Panoramafenster des Seitendecks. Darunter wogte das schwarze Wasser.
Doch die Scheibe aus stabilem Panzerglas hielt und warf ihn wie einen Gummiball wieder Richtung Herrentoilette. Dabei nahm die Natur ihren Lauf, und auf seiner Hose wurden große, dunkle, demütigende Flecken sichtbar.
In diesem Augenblick, in dem er in seinem Elend nicht viel gegen sie unternehmen konnte, drängten sie sich aus der Toilette.
Unbehindert rannten sie die breite, geschwungene Treppe zum Entreedeck hinunter. Dabei stießen sie Catharina zur Seite und verschwanden nach unten Richtung Fahrzeugdeck.
Der Holländer brüllte ihnen Verwünschungen hinterher.
Er hätte sie auf der Stelle umbringen wollen, wenn er ihnen nur seine großen Pranken hätte um den Hals legen können. Dieser Riese aus dem gelobten Land der Tulpen, der es jetzt leider nicht mehr so eilig hatte, auf die Toilette zu gelangen.
Catharina schürfte sich beim Sturz die Knie auf. Ihre Strümpfe hatten Löcher bekommen, aber was war als Abschluss eines so üblen Abends auch schon zu erwarten gewesen?
Jetzt brüllte er wieder, dieser Holländer.
Er schrie laut und deutlich, und etwas an seinem Tonfall ließ sie umkehren. Als Ärztin hatte sie seinen Hilferuf richtig verstanden. Als sie die Herrentoilette erreichte, stand er da.
Der Riese aus Holland.
Mit nassen Hosen, Tränen der Demütigung immer noch in den Augenwinkeln und mit ihrem verschwundenen, beschmutzten und blutig geschlagenen Kavalier auf seinen bärenstarken Armen.
Der Vorfall auf der Großfähre Aurora hatte nur eine geringe Verspätung zur Folge.
Zum einen, weil Hill
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