Kommissar Joakim Hill - 01 - Die zärtliche Zeugin
Stattdessen kam sie schnell zur Sache.
Sie erklärte, dass sie an bestimmten ökonomischen Verhältnissen auf Seiten der Losverkäufer interessiert seien. Wie man dem auf die Spur kommen solle, wisse sie nicht sicher, aber man suche nach einem bestimmten Zusammenhang.
»Aber könnten Ihnen die Banken der Losverkäufer nicht weiterhelfen?«, wollte die aufgebrachte, aber äußerst hilfsbereite Sekretärin wissen.
Sie sagte das so, als ginge es um etwas ganz Alltägliches.
»Die Banken der Losverkäufer?«, hakte Susanna nach.
Susanna wagte kaum Luft zu holen. Sie ahnte, dass sie gleich einen Treffer landen würde. Sie merkte fast, dass es bei ihrer sonst fast immer trostlosen Routinearbeit endlich einmal eine positive Wendung geben würde.
»Ja. Alle Zahlungen werden über die Banken der Losverkäufer abgewickelt«, fuhr die Sekretärin fort. »Wir können uns hier schließlich nicht mit Bargeld abgeben, alles wird über die örtlichen Banken der Einzelhändler abgewickelt.«
»Alles?«
»Alles. Das Debitieren der Lose bis hin zu eventuellen Gewinnen. Deswegen sind sämtliche Bankverbindungen aller Einzelhändler in unserem Zentralrechner gespeichert. Damit es schneller geht.«
»Dem Himmel … ich meine … vielen Dank für diese Auskunft. Können Sie mir die Liste sofort faxen?«
»Sie meinen, für das ganze Land?«
»Einen Augenblick bitte, ich muss fragen.«
Susanna hielt krampfhaft eine Hand über den Hörer und schaute auf Hill.
»Joakim, brauchen wir das ganze Land?«
»Wie bitte?«
»Willst du ein Bank-/Einzelhändlerverzeichnis für das ganze Land oder …?«
Das ganze Land? Mit etwa zwanzig Provinzen, in jeder fünf bis zehn Städte und unzählige kleinere Orte und mit Wiederverkäufern, angefangen mit den ICA-Lebensmittelgeschäften bis hin zu jedem Kiosk.
Eher nicht. So viel würden sie nie analysieren können, also ließ er es drauf ankommen.
Er ließ es darauf ankommen, dass die Täter bisher erst im südlichen Teil des langen und schmalen Landes ihr Unwesen trieben, wo die Opfer gefunden worden waren.
»Nimm Südschweden einschließlich Småland.«
Als das Fax die Liste zwanzig Minuten später ausspuckte, fragte er sich, was er nur mit ihr anfangen sollte.
Eine Unzahl Namen von Firmen und Eigentümern, von Orten und kleinen Nestern von der West- bis zur Ostküste. Und er hatte nicht die geringste Ahnung, wonach sie eigentlich suchten.
»Hier«, sagte Susanna und reichte ihm einen Becher Automatenkaffee. »Du siehst vollkommen fertig aus. Vielleicht solltest du nach Hause gehen und ausschlafen, Joakim. Gewisse Sachen fordern ihren Preis, und was dir da gestern passiert ist, kannst du nicht einfach abschütteln.«
»Susanna, darum geht es nicht.«
»Worum dann?«
»Wir haben keine Zeit zu verlieren. Ich habe das Gefühl, dass mir das nächste Mordopfer im Genick sitzt.«
»Okay, okay. Aber warum? Warum glaubst du, dass es so eilig ist?«
»Ich habe sie reden hören. Es muss sich um eine Bande aus dem Osten handeln, und das schließe ich nicht nur aus dem Akzent. Das Ganze machte den Eindruck, außerdem hieß der eine Stoján.«
»Und?«
»Wenn wir über Banden aus dem Osten reden, dann reden wir über die Mafia, und die hat ihre speziellen Methoden. Es spielt keine Rolle, ob man sich jetzt in den USA, auf Sizilien oder in Russland befindet – die Sprache ist immer dieselbe. Sie sprechen durch Andeutungen, durch Exempel und Zurechtweisungen.«
Er seufzte müde, aber sie sagte nichts. Sie wartete darauf, dass er weitersprechen würde.
»Mord ist auch so eine Ausdrucksform«, erklärte er, »er soll sagen, dass jemand gegen bestehende Abmachungen verstoßen hat. Er soll zeigen, was mit denen passiert, die das wagen.«
»Ja, okay. Ich verstehe. Aber warum glaubst du, dass das so eilig ist? Warum kannst du dich nicht erst etwas ausruhen und dann weitermachen?«
»Weil diese Exempel immer in Serien statuiert werden. Das hat eine deutlichere Wirkung. Für diejenigen, die eventuell ebenfalls daran gedacht hatten, aus der Reihe zu tanzen, ist das ein deutlicheres Signal. Je mehr Exempel innerhalb einer relativ kurzen Zeit statuiert werden, umso größer ist die abschreckende Wirkung.«
Missmutig rieb er sich die Augen.
»Sie sind mit dem Morden noch nicht fertig«, konstatierte er. »Bis jetzt war das nur ein leises Flüstern, aber sie wollen ein Gebrüll.«
Susanna konnte seinem Gedankengang folgen. Sie hatte auch Sympathie für seine Hoffnungslosigkeit, aber keine Lust, dass
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