Kommissar Joakim Hill - 01 - Die zärtliche Zeugin
beunruhigender ist, dass sie irgendwie zu wissen schienen, dass wir mit der Ermittlung allmählich vorwärts kommen.«
»Vielleicht sollte jemand anderes den Fall übernehmen, da du jetzt … sollte man sagen, persönlich involviert bist.«
Nicht einmal Hills blaue Flecken und Beulen konnten seine negative Reaktion verbergen. Sein Blick funkelte, und er presste seine verpflasterten Lippen zu einem schmalen Strich zusammen.
»Dadurch würden wir nur erreichen, dass die Ermittlung zum Erliegen kommt, bis sich jemand anderes eingearbeitet und die Witterung aufgenommen hat, die ich habe.«
»Aber weiterzumachen könnte dir gefährlich werden. Diese Warnung lässt schließlich an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.«
»Wenn man so argumentieren wollte, dann müssten wir alle zitternd unter dem Schreibtisch liegen«, erwiderte Hill erbost.
Harry Runsten grinste, ihm gefiel Hills Einstellung, aber als Polizeipräsident musste er an die Sicherheit seiner Leute denken.
»Mir wäre es lieber, und das meine ich ehrlich, wenn ich noch etwas weitermachen dürfte«, betonte Hill.
Runsten trank einen großen Schluck Kaffee und zuckte mit den Achseln.
»Glaubst du wirklich, dass das was bringt?«, wollte er wissen.
»Dass damit eine Serie sinnloser Morde zu Ende gehen könnte? Allerdings!«
Er hatte Hill, seinen besonnenen und etwas schüchternen Hill, bisher kaum einmal so von etwas überzeugt und so wütend gesehen. Das gefiel ihm. Das erinnerte ihn an etwas … daran, wie er vor zwanzig Jahren gewesen war.
»Okay, Hill! Wir machen, was du willst, viel Glück!«
»Danke.«
Runsten stand auf und stellte seine leere Kaffeetasse zurück auf das Tablett. Hill tat das ebenfalls und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, dass ihre kleine Unterredung endlich vorüber war. Jetzt hatte er wirklich viel zu tun.
Runsten ebenfalls.
Er hatte dieser Kommissarin aus Kopenhagen, dieser langbeinigen, blonden Mette Mogensen versprochen, so schnell wie möglich nach Marienlyst zu kommen.
Niemand sagte etwas, als Joe Hill nach seiner Besprechung mit dem Polizeipräsidenten durch die Gänge lief. Nicht einmal Joansson oder Mandén, die sich gerade ablösten und am Informationstresen den Einsatzplan des Tages besprachen.
Niemand hielt ihn auf, um ihn nach dem Vorabend zu fragen.
Viele drehten sich nach ihm um, aber er wich ihren Blicken aus, obwohl sich eigentlich nichts verändert hatte.
Außer dass der Überfall Schatten in seinem Inneren zurückgelassen hatte, die ihm bedeutend mehr zu schaffen machten als seine Blessuren. Ein Misstrauen erfüllte ihn, das er noch nie zuvor gekannt hatte.
Hinter jeder Tür vermutete er einen Verräter. Mit verbissener Miene und mit Beulen, blauen Flecken und Pflastern im Gesicht eilte er zu seinem Büro.
Aber wer glaubte, dass er sich dort verstecken wollte, hatte sich gründlich geirrt. Er war sich seiner Sache nun ganz sicher und platzte förmlich vor Eifer. Was ihm am Vortag noch unerklärlich gewesen war, ergab nun ein klares Bild, obwohl ihm sein Gesicht wehtat, der Bauch schmerzte und sein Arm beinahe ausgekugelt worden wäre.
Jetzt waren sie zu weit gegangen.
Von jetzt an wollte er denken, wie sie dachten, und empfinden, was sie empfanden. Fürchten, was sie fürchteten, und ihrem System auf die Spur kommen. Er hatte vor, allen ihren Schachzügen zuvorzukommen, auch wenn er sich alles zu Nutze machen musste, was man ihm in der Unterwelt noch schuldig war. Auch wenn er bitten, betteln und sich demütigen musste, er würde sie kriegen.
Er würde zu seiner Rache kommen – so einfach war das.
Ganz unerwartet war der Staatsanwalt der Erste, der ihm dabei half.
Ein Fax von seinem Büro auf der anderen Straßenseite teilte mit, dass man bei der Staatsanwaltschaft ganz der Meinung des Polizeipräsidenten und des Kommissars sei. Er habe freie Hand – natürlich innerhalb gewisser Grenzen –, die Nachforschungen so weiterzuführen, wie er es am Abend zuvor mitgeteilt habe.
Die Türen standen endlich offen – weit offen.
Er begann sofort und ließ sich wieder von seinem Instinkt leiten. Irgendwie musste es ihm gelingen, die Losverkäufer ausfindig zu machen, die besonders viele Lose bezogen oder besonders große Einnahmen hatten. Das musste schnell gehen. Schneller als ein Huhn scheißt, wie Joansson bei Alarm zu sagen pflegte.
Hill merkte schnell, dass er allein nicht klarkommen würde.
Genau in diesem Moment hörte er draußen auf dem Gang Susannas Lachen. Es hallte
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