Kommissar Joakim Hill - 01 - Die zärtliche Zeugin
wirklich dringend eine Nummer brauchte. Er hatte dann immer so viele Pickel wie ein zu groß geratener Chorknabe und verlor viel zu schnell die Nerven.
Bernard sah ihn an.
Aber klar – er hatte vielleicht wirklich Recht! Die Alte wirkte irgendwie verschlagen. Sie war zwar ein Original, und das war möglicherweise für ihr Projekt von Vorteil. Das bedeutete, dass sie nicht so viele Kunden hatte.
Es konnte aber auch ein Nachteil sein.
Vielleicht setzte sie sich eher was in den Kopf als andere? Vielleicht versuchte sie sogar, sie an der Nase herumzuführen? Natürlich aus ganz anderen Gründen als der Rest, aber trotzdem war das möglich. Es war sogar alles andere als undenkbar.
Außerdem brauchten sie wirklich mal eine Abwechslung. Überdies hätten sie am Vorabend auf der Fähre jemandem auffallen können, als sie sich unerwartet aus dem Staub machen mussten. In letzter Minute waren sie mit ihrem Auto an Land gekommen.
Es war reines Glück gewesen, nicht Können, dass sie überhaupt davongekommen waren, das wusste sogar Bernard. In nur wenigen Minuten hatten sie den Zoll passiert und waren hinter ein paar großen dunklen Fabrikgebäuden verschwunden, ehe noch die Fahndung eingeleitet worden war. Dann hatten sie in einer kleinen Seitenstraße gewartet, bis die Blaulichter verschwunden waren. Erst dann hatten sie sich auf die Autobahn gewagt.
Bernard hätte fast nicht begriffen, was vor sich ging, als plötzlich das Eisenrohr, mit dem sie die Toilettentür versperrt hatten, von einer gewaltigen Kraft von außen verbogen wurde.
Blitzschnell hatte er einen Beschluss gefasst.
»Weg mit dem Rohr! Jetzt!«
Ungewöhnlicherweise hatte Stoján seinem Befehl gehorcht.
Hätte er das nicht getan, dann hätten sie riskiert, von dem verbogenen Rohr in der Toilette eingeschlossen zu werden. Endgültig. Die Bullen von ihrer Unschuld zu überzeugen, wäre ihnen nicht leicht gefallen. Jedenfalls nicht, nach dem, was sie mit ihrem Kollegen angestellt hatten.
Und nun war er noch am Leben, dieser Kommissar Hill, davon war Bernard überzeugt. Und da in den Nachrichten oder in den Zeitungen von dem Vorfall nicht die Rede gewesen war, konnten sie davon ausgehen, dass seine Verletzungen weitaus geringer waren, als sie erst geglaubt hatten.
Aber schmerzhaft genug, um ihn begreifen zu lassen?
Bernard hoffte es. Jetzt waren sie schließlich kurz vorm Ziel. Es fehlte nur noch wenig. Dann würden sie als vermögende Männer nach Lettland zurückkehren.
Aber vielleicht war das trotzdem kein dummer Gedanke. Auf Nummer sicher gehen und vorbeifahren. Sich verdrücken, bis sich der Staub gelegt hatte. Aber zu eilig brauchten sie es auch nicht zu haben. Schließlich hatten die Bullen keine Beweise gegen sie in der Hand. Sie waren in Schweden nicht vorbestraft, und niemand wusste, wer sie waren oder woher sie kamen, Hill am allerwenigsten.
Sie brauchten sich also keine Sorgen zu machen, sie konnten irgendwo Rast machen und vielleicht was Gutes essen. Durch die Gegend fahren und ein paar Tage abwarten. Und wenn sie Lust hatten, konnten sie auch mal eben bei der Alten vorbeischauen.
Genau. Das war gar kein dummer Gedanke.
Er schlug sein Notizbuch zu, steckte es in die Innentasche und stand auf.
»Okay.«
»Okay, was?«, wollte Adrian wissen.
Stoján kam etwas zu sich. Er hatte vom vielen Fernsehschauen schon rote Augen.
»Okay, wir fahren«, entschied Bernard, »und auf dem Weg schauen wir bei der Alten vorbei.«
Ein Versprechen war ein Versprechen.
Aber Joakim Hill hatte, als der Abend dieses Donnerstags näher gerückt war, überhaupt keine Lust, das Versprechen zu halten, das er seinem Kollegen von der Motorradstaffel gegeben hatte.
Er war nicht krankgeschrieben, obwohl ihm alles wehtat, und darum konnte er im Grunde nur seiner Lustlosigkeit die Schuld geben. Doch das hatte nicht gereicht, um die Verabredung platzen zu lassen.
Ulf Gårdeman hätte sich allerdings auch einen besseren Partner als den blau geschlagenen, übellaunigen Joe Hill vorstellen können.
Aber er konnte es sich nicht aussuchen.
Und es hätte schließlich noch schlimmer kommen können. Man hätte ihm beispielsweise auch den schmucken Knut Sahlman aufs Auge drücken können – eine Katastrophe angesichts des vielen Drecks, in dem sie jetzt hier hängen blieben.
Das Klubhaus der Rockerbande Gangsters lag schließlich mitten in den Äckern von Nordwestschonen, und da war schon mit mehr Lehm und Morast als in der Stadt zu rechnen.
Darüber war sich
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