Kommissar Morry - Das Phantom
verstört den Kommissar an.
„Was wollen Sie schon wieder hier?" stieß sie dann, all ihre Kräfte zusammennehmend, hervor.
„Ich habe mit Ihnen zu reden, Susan Bexter", entgegnete Morry fast freundlich und wies mit der Hand auf den Stuhl rechts neben ihm.
„Ich wüßte nicht, Kommissar, was ich noch mit Ihnen zu reden hätte", würgte sie mühsam hervor und annulierte Morrys Geste, neben ihm Platz zu nehmen. „Alles, was ich wußte, habe ich vor drei Jahren bereits gesagt. Was also wollen Sie noch von mir?"
„Worüber ich mit Ihnen reden könnte, Susan Bexter? Hm — vielleicht über das damalige Thema, oder über Mat Heflin..." fühlte Morry behutsam vor, erreichte aber das Gegenteil.
„Was ist mit Mat? — Wo ist er?" wie ein Aufschrei entrang es sich ihrer schweratmenden Brust. Ihre Augen weiteten sich übernatürlich und erschöpft ließ sie sich nun doch auf den Stuhl sinken.
„Wo Mat Heflin sich im Augenblick aufhält, möchte ich von Ihnen erfahren", ruhig stellte Morry die Frage.
„Von mir, Kommissar? Wie soll ich es wissen, wo er sich aufhält? Als ich ihn das letzte Mal sah, führte man ihn nach dem Urteilsspruch aus dem Gerichtssaal. Seitdem habe ich nichts mehr von Mat gehört. Ich hatte immer angenommen, er säße noch in irgendeiner Strafanstalt, doch da Sie nun nach ihm suchen, ahne ich Furchtbares. Bitte, bitte, Kommissar, was ist mit Mat?" immer leiser, flehender wurde ihre Stimme und ihre Augen bekamen einen feuchten Glanz. Kommissar Morry besaß Menschenkenntnis wie kein anderer seines Dezernats. Susan Bexter hatte die Wahrheit gesagt. Sie wußte nicht, wo sich der flüchtige Mat Heflin aufhielt. Nein, sie hatte ihn seit seiner Aburteilung vor drei Jahren nicht mehr gesehen. Seine letzte Hoffnung für heute, der Klärung des mysteriösen Mordes der vergangenen Nacht etwas näher zu kommen, war verflogen. Mit krauser Stirn sah er auf das mit gesenktem Kopf neben ihm sitzende Girl, dessen ganze Liebe einem Verbrecher gehörte und die sich nicht schämte, es offen zu zeigen.
„Lesen Sie niemals die Zeitung?" brachte er das Gespräch auf Mat Heflin zurück.
„Selten, Kommissar. Wenn man wie ich in einer solchen Bude von morgens früh bis in die späte Nacht hinein schuften muß, findet man kaum Gelegenheit, eine Zeitung zu lesen."
„Haben Sie nie versucht, in einer freundlicheren Gegend eine Beschäftigung zu finden? Für eine Frau mit Ihrem Aussehen dürfte dieses nicht schwer sein."
„Kommissar, wer nimmt eine Frau mit meiner Vergangenheit? Gewiß, es waren mehrere von der sogenannten besseren Schicht hier und wollten mich mit in ihr Haus nehmen. Unverblümt ließen sie aber auch durchblicken, welche Beschäftigung ich in ihren Häusern ausüben sollte."
„Verstehe! — Da bleiben Sie lieber hier unten auf der Schattenseite."
„Ja, Kommissar! Hier habe ich zwar wenig oder gar nichts vom Leben, dafür werde ich aber in Ruhe gelassen. Bis ..."
„Bis Mat kommt und Sie holt, wollten Sie doch sagen?"
„Ja, bis Mat mich von hier wegholt."
„Glauben Sie, daß Mat Heflin Sie von hier wegholen wird?"
„Bis jetzt war ich felsenfest davon überzeugt, daß es einmal so sein wird. Seitdem Sie aber erschienen sind, zweifle ich etwas daran."
„Sie haben recht, Susan Bexter. Wenn Mat Heflin Ihnen bisher noch keine Nachricht hat zukommen lassen, wird er es in Zukunft auch nicht mehr tun. Mat Heflin hätte in den letzten vier Tagen genügend Zeit dazu gehabt. Denn seit dieser Zeit befindet er sich nicht mehr in Gewahrsam. Er hat es vorgezogen, die Strafanstalt gewaltsam zu verlassen."
„Ich hatte es geahnt, Kommissar", ruhig hatte sie Morrys Erklärungen aufgenommen. „Glauben Sie aber nicht, daß Mat rückfällig wird. Er konnte es einfach nicht mehr zwischen den engen Mauern ertragen und ist bestimmt nur aus diesem Grunde ausgebrochen."
„Die Zukunft wird es Ihnen und mir beweisen!" Langsam hatte sich Kommissar Morry erhoben, und während er seine Handschuhe überstreifte, faßte er die Frau fest ins Auge und sprach mit ernster Stimme: „Sollte Mat Heflin doch noch bei Ihnen erscheinen, so wirken Sie auf ihn ein, daß er sich wieder freiwillig der Polizei stellt. Die zwei restlichen Jahre wird er noch absitzen müssen!"
Ohne die Antwort Susan Bexters abzuwarten, schritt er durch die lärmende Gesellschaft dem Ausgange zu und verließ auf dem kürzesten Wege die dunkle Morant-Street. — Bevor Morry jedoch das Ende der Straße erreicht hatte, kam ihm eine durchnäßte,
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