Kommissar Morry - Der Tod war schneller
glaube, es ging bereits auf Mitternacht zu."
„Kam es öfter vor, daß Sie solange plaudernd auf dem Platz beisammenstanden?"
„No, Sir! Das war eine Ausnahme. Jetzt erinnere ich mich auch wieder. An diesem Tag hatte doch der Überfall auf Clark Dixon stattgefunden. Das war natürlich ein spannender Gesprächsstoff für uns. Wir hatten abends noch von Mary Dixon gehört, daß ihr Mann in Urlaub gefahren sei. Um so mehr wunderten wir uns darüber, daß sie zu so später Nachtstunde noch Licht in ihrer Wohnung hatte. Wir sahen alle zu ihren Fenstern hinauf. Das Licht ging plötzlich aus. Wir hörten, da wir doch unten am Hauseingang standen, oben eine Tür ins Schloß fallen. Rasche Schritte kamen die Treppe herunter. Ein Fremder tauchte vor uns auf. Er war sehr gut gekleidet, er trug einen hellen Frühjahrsmantel und einen grauen Hut. Ohne Zweifel entstammte er den besten Kreisen. Aber damals wirkte er doch recht nervös und zerfahren. Er stierte mit erschreckten Blicken zu uns her. Dann flüchtete er über die Straße. Anscheinend hielt er sich noch eine Weile in den Gebüschen am Pavement verborgen. Ich hatte wenigstens dieses Gefühl, als ich kurze Zeit später in meine Wohnung ging."
„Welch ein Jammer, daß die Leute kein Vertrauen zur Polizei haben", seufzte Morry niedergeschlagen. „Hätten wir das alles schon vor drei Wochen gewußt, dann wäre der Mörder sicher längst schon hinter Schloß und Riegel, und ein paar harmlose Leute aus der Nachbarschaft könnten sich noch ihres Lebens erfreuen."
Nach einer kurzen Pause fragte er: „Würden Sie diesen gutgekleideten Herrn wiedererkennen, wenn er Ihnen am hellen Tag auf der Straße begegnen würde?"
„Wahrscheinlich, Sir!"
„Würden Sie ihn auch nach einem Bild erkennen?"
„Vermutlich, Sir!"
„Gut", sagte Morry rasch. „Ich werde bis mor= gen diese Photos beschaffen. So long, Mister Bernet."
Etwas besser gelaunt kehrte Kommissar Morry in den Yard zurück. Man kam dem Mörder allmählich näher. Jetzt endlich wußte man wenigstens, aus weh chem Motiv heraus er mordete. Damit war man der Lösung des schwierigen Falles schon um die Hälfte näher gekommen.
„Guten Morgen, Potter", rief Morry frohgelaunt, als er in sein Dienstzimmer stürmte. „Ich bringe eine gute Nachricht mit. Eine Nachricht, die allerdings viel Arbeit für Sie bedeutet. Sie werden sich die Photos aller Angestellten der Central Common Bank besorgen. Haben Sie mich verstanden?"
„Moment mal", brummte Wachtmeister Potter verdrossen. „Sie fragen ja gar nicht, ob ich nicht auch eine Neuigkeit habe?"
„Wirklich?" fragte Morry überrascht. „Schießen Sie los, Potter. Ich glaube, heute ist ein Glückstag für uns."
„Ich weiß jetzt", sagte Wachtmeister Potter bedächtig, „was es mit diesem grüngelben Zettel auf sich hat. Solche Scheine gibt es nur an einer einzigen Stelle in London. Das ist auf der Gepäckaufbewahrung in der Liverpool Station. Alle Bahnhöfe haben verschiedene Farben. Auf den Zetteln der Liverpool Station steht eine vierstellige Nummer."
„Sie sind ein Teufelskerl, Potter", stotterte Morry begeistert. „Ich würde Sie am liebsten auf der Stelle zum Leutnant befördern. Wie haben Sie denn das herausgebracht?"
„Geschäftsgeheimnis", sagte Wachtmeister Potter und lächelte stolz und glücklich vor sich hin.
21
„Das war ein Schlag ins kalte Wasser, Jebb", brummte Ferry Gospel am nächsten Abend mißmutig, als Jebb Mackolin sich zu der Runde an den Stammtisch setzte. „Eine Pleite, wie sie im Buche steht. Dieser Bankfritze war nämlich gar nicht zu Hause. Scheint irgendwo eine Braut zu haben. Wir warteten die halbe Nacht vergebens in seiner Bude. Ich muß jetzt noch gähnen, wenn ich an diese langweiligen Stunden zurückdenke. Das nächste Mal gehen wir alle zusammen. Einverstanden?"
„Einverstanden", brummte Jebb Mackolin erleichtert. „Ich bin eigentlich froh, wenn ich diese nächtlichen Märsche nicht mehr allein zu machen brauche. Sie sind aufregend und anstrengend. Und nie kommt etwas dabei heraus."
Er zog seine Liste aus der Tasche und stierte stumpfsinnig darauf. „Den Namen Thomas Bernet können wir streichen", raunte er zwischen den Zähnen. „Also wieder einer weniger. Jetzt sind es noch fünf Adressen."
„Einen Augenblick", krächzte Nick Harder dazwischen. „Ihr versteht eben nichts vom Handwerk. Ihr arbeitet blödsinnig wie die Bürokraten. Die Sache muß man anders anpacken."
Er setzte den Papierfetzen in wirbelnde
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