Kommissar Morry - Die Todesstrasse
die aus wasserdichtem Tuch bestehende Hülle ab. Seine Finger begannen zu zittern, als er mit der Hand den Inhalt des Päckchens fühlte.
Er tauchte eine Fingerspitze in das Pulver ein, führte seine Hand an die Lippe, und sofort wußte er, was der Inhalt war. Einen Augenblick stand der alte Mann wie gelähmt vor dem Kamin. Er hielt seine Finger um den Fund gespannt und atmete erregt. Plötzlich, als habe er glühendes Eisen angefaßt, zuckte er zusammen. Seine Gedanken jagten sich. Immer wieder kam ihm der Fremde in den Sinn, der auf seinen Schultern die seltsame Last trug. Ein Stöhnen kam aus dem Munde des Alten, als ihm klar wurde, was für eine Last der Fremde fortschaffte. Sofort beschlich ihn ein heftiges Gefühl der Angst. Augenblicklich machte er sich daran, den Ursachen seiner plötzlichen Befürchtungen nachzuspüren.
In Hast ging er aus dem Raum, erreichte den oberen Treppenabsatz und wollte die Treppe hinunter. In diesem Moment fiel ihm ein, daß er immer noch das Päckchen bei sich hatte. Er machte kehrt und legte es wieder an seinen alten Platz zurück. Warum er dieses tat, vermochte er später nicht mehr zu sagen. Er erinnerte sich nur noch daran, daß er das Gefühl gehabt hatte, glühende Kohlen in seinen Händen zu halten.
Fort! Nur fort mit diesem teuflischen Zeug! Und so tat er eben das, für das er später keine Erklärung mehr fand. Nachdem er das Päckchen wieder in den Kamin zurückgelegt hatte, atmete er irgendwie erleichtert auf. In der gleichen Minute verließ der alte Mann das düstere, geheimnisvolle Haus in der Silver-Walk; er ging mit steifen Beinen bis zum Ende der Straße und machte sich daran, das Gelände hinter den letzten Mauerresten dieser Straße abzusuchen. Abzusuchen nach der Last, die der Fremde mit dem Wagen, dessen Schlußlichter zwei verschiedene Farben aufwiesen, hier irgendwo abgelegt hatte. Doch so sehr sich der ,Philosoph' auch anstrengte, so sehr er auch jeden Winkel, jeden Strauch durchkämmte, er fand nicht die geringste Spur der Tat, die der heimtückische Mörder vom Commercial-Dock hier zum Abschluß brachte. Längst hatte die zähe Substanz des Sumpfloches den Körper verschlungen, der einst Irving Jorday gewesen war. Lange blieb der alte Mann vor diesem Loch stehen, ohne zu wissen, daß das genau vor ihm lag, was er vergeblich suchte. Dann wandte er sich kopfschüttelnd ab und schritt, tief in Gedanken versunken, in die Nacht hinein. Zurück blieb das Sumpfloch, zurück das Päckchen in dem finsteren Haus der Silver-Walk.
5
Dem verantwortlichen Beamten des Rauschgiftdezernates, Kommissar Robert Bethmont, rauchte mal wieder gewaltig der Schädel. Obwohl er seine besten Spürnasen, Yard- Männer mit jahrelanger Spezial-Erfahrung, kaum zur Ruhe kommen ließ und sich selbst ebenfalls keine Pause gönnte, kam er schon seit Wochen mit seinen Ermittlungen nicht weiter. Nichts, aber auch gar nichts Positives hatte er in der letzten Zeit ermitteln können. Dabei war es keineswegs so, daß die Neun-Millionenstadt durch seine bisherigen Erfolge von den Rauschgiftsüchtigen restlos befreit worden war; die schmutzigen Lieferanten und ihre Organisationen waren nicht brotlos geworden. Solange es in der Welt Opium, Kokain, Heroin, Morphin, Dicodid, Acedicon, Peronin, Dionin gibt, um nur einige Mittel aus deren Vielzahl zu nennen, gibt es auch immer wieder Menschen, die diesem Gift verfallen. Und die menschlichen Aasgeier nutzten diese Schwächen der bedauernswerten Menschen und brachten riesige Summen in ihre Taschen. Diese traurige Tatsache kannte in London wohl kein Mann besser als Kommissar Robert Bethmont. Darum haßte er alle Individuen, die sich in gewinnsüchtiger Absicht mit dem Vertrieb von Rauschgiften befaßten. Es wurde von Fall zu Fall schwerer, die Verbrecher und ihre Opfer zu fassen. Immer wieder neue Methoden wurden von den Anführern derartiger Organisationen ersonnen. Jeder Fall zeigte es deutlicher, mit welchen Raffinessen hier zu Werke gegangen wurde. Wieder einmal hieß es für ihn und seine Mitarbeiter, hinter die neuen Schliche der Burschen zu kommen, die augenblicklich die Vorherrschaft auf dem Gebiete des Rauschgifthandels hier in der Stadt ausübten. Aber wo sollte er den Hebel der Aufklärungsarbeit ansetzen? Wo beginnen, wenn ihm weder der Lieferant noch der oder die Orte bekannt waren, an denen diese gefährliche Ware abgesetzt wurde? Gewiß, der Weg, über den die Ware eingeschmuggelt wurde, war in neunundneunzig von hundert Fällen der
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