Kommissar Morry - Die Todesstrasse
heran. Seine Blicke gingen prüfend über das kalkweiße Gesicht des Verletzten. „Ich bin Clay Deverell, Konstabler Deverell vom Sonderdezernat!"
Zunächst kaum merklich begannen die Augenlider David Browns zu zittern. Plötzlich riß er die Augen weit auf, und gleichzeitig lief ein hektisches Zucken um seine Mundwinkel. Noch einmal wiederholte der Konstabler mit ruhiger Stimme seine Frage: „Hören Sie, Brown, erkennen Sie mich?" Doch bereits während er diese Frage noch stellte, waren dem Verletzten die Augen wieder zugefallen.
Vorsichtig beugte sich Konstabler Clay Deverell über den Verletzten. Seine Augen forschten in dem bewegungslosen Gesicht des Mannes im Bett. Doch dieser schien in diesem Augenblick mehr tot als lebendig zu sein.
„Lassen Sie mich es mal versuchen", vernahm Clay Deverell die Stimme des Arztes hinter sich. Deverell trat einen Schritt vom Bett zurück. Der Mann in dem weißen Kittel beugte sich über den Verletzten. Und während er etwa fünfzehn Sekunden lang schweigend den Pulsschlag David Browns kontrollierte, nickte er zustimmend mit dem Kopf und sprach dann mit lauter Stimme: „Mister Brown, wachen Sie auf! Hier ist ein Freund von Ihnen, der Sie begrüßen möchte!"
Seine Worte schienen zunächst die erhoffte Wirkung zu ihaben. David Brown öffnete nämlich erneut die Augen. Er stützte. Doch dann kam etwas für die beiden vor dem Krankenbett stehenden Männer Überraschendes. Sie hörten nämlich etwas, das wie der Schrei eines todwunden Tieres klang. Der Kranke schrie: „Ihr Lumpen! Weg! Weg! Ich habe von euch nichts gewo..."
Mitten in diesem unverständlichen Ausbruch brach die Rede David Browns ab und ging in ein Röcheln über. Während Konstabler Clay Deverell sich diese Worte zu deuten versuchte, sprang der Arzt auf den sich plötzlich wie wild gebärdenden David Brown zu und drückte ihn sanft auf das Kissen zurück. „Mister Deverell! Schnell! Halten Sie den Mann fest! Es war noch zu früh, ihn anzusprechen. Der Schock sitzt ihm noch in den Gliedern. Ich muß ihm noch eine Beruhigungsspritze geben!"
Mit äußerster Anstrengung gelang es dem Konstabler, den Tobenden in seiner Bewegungsfreiheit so weit einzuschränken, daß der Arzt sein Vorhaben ausführen konnte. Noch Minuten danach ging David Browns Atem stoßweise!
„Teufel, ich hätte es ahnen müssen", kritisierte sich der Arzt selbst, während er die Spritze auf einen kleinen Tisch in der Ecke des abgedunkelten Zimmers legte.
„Die Erinnerung des Mannes an das Erlebte ist noch so stark in ihm, daß er uns für die Burschen gehalten hat, die ihn so zugerichtet haben!"
Der Konstabler sagte bitter: „Tatsächlich, Doc? — Wie lange, glauben Sie, wird es noch dauern, bis wir mit David Brown vernünftig reden können?"
Einen Augenblick zögerte der Arzt. Sein Gesicht war ernst, als er sagte: „Ich will Ihnen nichts vormachen, Mister Deverell. Ich habe nicht unbegründete Bedenken, ob wir nicht vielleicht längere Zeit warten müssen, bis wir den Patienten so weit haben, daß er wieder einigermaßen richtig denken kann! — Wenn es uns überhaupt gelingt, ihn dazu zu bringen!"
Den letzten Satz sprach der Arzt wie zu sich selbst. Doch Konstabler Clay Deverells Gehör war dermaßen geschärft, daß ihm diese Worte und ihr Sinn nicht entgangen waren. Deshalb meinte er: „Hell and damnation! Das hätte uns gerade noch gefehlt! Da sitze ich nun schon Stunden hier bei einem Mann, der uns einen Fingerzeig geben könnte, und dann sagen 'Sie . . ."
„Ich kann Ihren Ärger verstehen, Mister Deverell", erwiderte der Arzt dem Konstabler. Während seine Blicke auf den Verletzten gerichtet waren und ihn beobachteten, fuhr er leise fort: „Aber das hat niemand voraussehen können. Nun aber sehe ich schon klarer. Ich will es Ihnen nicht verhehlen, daß ich für Mister David Brown das Allerschlimmste befürchte. Er scheint irgendeinen Defekt davongetragen zu haben, die Symptome sprechen jedenfalls dafür."
Der Arzt wollte dem Konstabler Einzelheiten über derartige Krankheitserscheinungen erklären, doch dieser winkte ab und meinte: „Lassen Sie, Doc! — Ich verstehe nicht allzuviel davon. Mir genügt es, wenn Sie mir sagen, daß ich vorerst nicht vernünftig mit dem Mann reden kann. So ist es doch, nicht wahr?"
„Well! Normalerweise ja! Aber manchmal besteht in derartigen Fällen die Hoffnung, daß der Patient, wenn die Wirkung der verabfolgten Beruhigungsspritze beendet ist, im Trancezustand über das zu sprechen
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