Kommissar Morry - Die Woelfe
das Haus einsam und verlassen in der Abendstille. Sidney Romer drückte kopfschüttelnd auf die Glocke. Er wartete drei, vier Minuten. Als sich dann noch immer nichts rührte, drückte er ungeduldig gegen die Tür. Sie gab sofort nach. Sie war überhaupt nicht verschlossen gewesen. Sidney Romer trat in den prächtigen Hausflur ein und schaltete die Beleuchtung ein. Zur Rechten befanden sich die Warteräume und die Praxis des angesehenen Arztes. Zur Linken hatte er seine Wohnung. Auch diese Tür stand halb offen.
Sidney Romer trat verwundert über die Schwelle. Wieder machte er Licht.
„Hallo, Doc?“, rief er dann. „Wo stecken Sie denn? Ich bin´s, Sidney Romer.“
Die Worte verhallten ungehört. Aus der stillen Wohnung kam keine Antwort. Nur eine Tür bewegte sich leise im Zugwind. Ernstlich besorgt, schritt Sidney Romer weiter in die Wohnung hinein. Er geriet in den Arbeitsraum des Arztes. Als er die Deckenlampe eingeschaltet hatte, sah er zu seiner Bestürzung, daß der elegante Raum schrecklich verwüstet war. Auf dem Boden lagen Scherben, Bücher und Instrumente in wüstem Durcheinander. Der Schreibtisch und der große Wandschrank waren erbrochen. Alle Fächer waren durchwühlt. Kein Ding lag mehr an seinem richtigen Platz. Sidney Romer griff sich verstört an die Stirn. Die rasenden Kopfschmerzen erwachten wieder. Das gemarterte Hirn zuckte unter qualvollen Krämpfen. Er stand wieder einmal da und wußte nicht, was er tun sollte.
Was war hier geschehen? Wo hielt sich Dr. Vanmeren auf? Wo war er? Er hatte ihn doch für acht Uhr bestellt. Oder war er es gar nicht gewesen, der am Telephon mit ihm gesprochen hatte? Tausend Fragen und nicht eine einzige Antwort. Sidney Röomer fand keine Erklärung für diese seltsamen Vorgänge. Er drehte sich unruhig um. Eine Tür war ins Schloß gefallen. Schritte tappten durch den Flur auf die Wohnung zu. Ein ungläubiges Murmeln wurde laut. Ein erstickter Ausruf. Ein paar Sekunden später stand Dr. Vanmeren an der Tür des Arbeitszimmers. Sein väterlich gütiges Gesicht war rot vor Aufregung. Die Augen richteten sich befremdet auf Sidney Romer.
„Was tun Sie hier?“, fragte er in peinlicher Überraschung. „Wie konnten Sie einfach in meine Wohnung eindringen, Mr. Romer? Haben Sie diese Unordnung geschaffen?“
Sidney Römer stand da wie vor den Kopf geschlagen. Irre Laute brachen von seinen Lippen. Er war unfähig, vernünftige Worte zu formen.
„Sie haben mich doch angerufen“, stieß er endlich durch die Zähne. „Sie bestellten mich für acht Uhr in Ihre Wohnung.“
„Ich?“, fragte Dr. Vanmeren verblüfft. „Welch ein Unsinn, Mr. Romer! Ich beende meine Sprechstunde pünklich um sechs Uhr. Um diese Zeit bestelle ich doch keine Patienten in mein Haus.“ Seine Blicke wanderten erschüttert zwischen Sidney Romer und den zerstörten Möbeln hin und her. „Haben Sie das getan?“, fragte er eindringlich. Sidney Romer wollte und konnte nichts darauf sagen. Er stürmte wortlos davon. Wie von Furien gehetzt, jagte er durch die Straßen. Erst am Kings Walk kam er wieder zur Besinnung. Er hastete in die nächste Telephonzelle und rief Inspektor Lawrence an.
15
Kommissar Morry hatte am nächsten Morgen kaum das Chefzimmer im Sonderdezernat betreten, da tauchte auch schon Inspektor Lawrence vor seinem Schreibtisch auf. Der ernste Mann war merkwürdig nervös. In seinem Gesicht standen Ratlosigkeit und quälende Zweifel geschrieben.
„Verzeihen Sie die Störung, Sir“, murmelte er. „Ich erhielt gestern Abend einen Anruf von Sidney Romer. Er hatte wieder einmal ein recht sonderbares Erlebnis.“
„Erzählen Sie“, bat Kommissar Morry freundlich. „Hat man ihm wieder eine Leiche vorgezaubert, die nachher verschwunden war?“
„No, Sir! Diesmal war es nur ein kleiner Einbruch. Er ist angeblich in das Haus Dr. Vanmerens gerufen worden. Dort drang er einfach in die Wohnung ein. Als der Arzt zurückkehrte, bot sich ihm ein Bild schrecklichster Verwüstung. Sidney Romer muß in einem Anfall geistiger Umnachtung das ganze Arbeitszimmer kurz und kleingeschlagen haben.“
„Hm. Und das glauben Sie?“, fragte Morry spöttisch.
Inspektor Lawrence hob befremdet die Brauen. „Warum sollte ich es nicht glauben, Sir? Dr. Vanmeren ist ein normaler Mensch und hat seine fünf Sinne beisammen. Überdies besitzt er einen untadeligen Ruf und ist als Arzt sehr geachtet. Sidney Romer dagegen war achtzehn Monate in Tootham und hat seit seiner Rückkehr die
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