Kommissar Morry - Ich habe Angst
aus.
„Wollen Sie wirklich nicht bleiben?" fragte sie mit lockender Stimme.
„Nein", sagte er in ruhigem Ton.
„Dann komme ich auch mit", erwiderte sie rasch. „Was soll ich allein hier? Warten Sie bitte!"
Es dauerte endlos, bis sie ihren Mantel wieder anhatte. Sie betrachtete sich noch eine Weile im Spiegel. Sie zog die schwellenden Lippen nach. Sie fuhr mit der Puderquaste über die zarten Wangen. Endlich drückte sie ihren Hut auf die kastanienbraunen Locken. Indessen trat Jack Havard ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Er hatte schon die Tür geöffnet. Verdrossen starrte er in den Flur hinaus.
„Was wird der Portier von uns denken, wenn wir jetzt wieder abmarschieren?" murmelte er stirnrunzelnd. „Er wird uns sicher für verrückt halten. Und ich glaube, wir sind es auch."
Er musterte Esther Harras mit einem raschen Blick. Sie war jetzt seltsam verwandelt. Sie wirkte kühl und unnahbar. Anscheinend kränkte es sie, daß er sie verschmäht hatte und daß er nicht auf ihre Verführungskünste hereingefallen war.
„Wir können gehen", sagte sie kühl. „Ich bin fertig."
Jack Havard atmete erleichtert auf. Er ging hastig die Treppe hinunter. Vor der Empfangsloge wandte er den Kopf ab. Es wäre ihm peinlich gewesen, dem Portier ins Gesicht sehen zu müssen. Aber Esther Harras blickte den Livrierten ruhig und gelassen an. Sie war wieder ganz Dame. Nichts konnte sie mehr erschüttern.
„Wir gehen in ein anderes Hotel", sagte sie zu dem verdutzten Nachtportier. „Ihre Betten sind härter als das Felsengebirge in Schottland. Haben Sie das noch nicht bemerkt?"
„Aber ich bitte Sie, Madam", stotterte der Portier fassungslos. „Bei uns hat sich noch nie ein Gast beschwert. Ich bin untröstlich. Darf ich fragen, was Sie …"
Esther Harras hörte nicht länger zu. Sie folgte Jack Havard auf die Straße hinaus. Der Wagen parkte mit Standlicht am Rinnstein.
„Wollen Sie nicht einsteigen, Mr. Havard?"
„Nein, danke", sagte er abweisend. „Wer weiß, wohin Sie mich wieder fahren würden. Ich gehe zu Fuß nach Hause. Es ist ja nicht weit.“
Esther Harras war nicht im mindesten gekränkt über seine Ablehnung.
„Wie spät haben Sie denn, Mr. Havard?" rief sie ihm nach. „Meine Uhr ist stehengeblieben."
„Zwanzig Minuten nach zwei", sagte er.
„Danke, Mr. Havard", rief sie mit heller Stimme. „Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht."
Er ging von ihr weg. Er drehte sich nicht mehr um. Er strebte hastig auf den Westhill zu, wo seine neue Wohnung lag. Zehn Minuten später erreichte er die stille Straße, in der ruhige Beamte und Pensionisten lebten. Im Augenblick aber ging es ziemlich turbulent in diesem vornehmen Wohnviertel zu. Ausgerechnet vor dem Haus, in dem er wohnte, ballte sich um diese späte Nachtstunde eine Menge neugieriger Menschen zusammen. Ein paar Bobbies drängten die Leute zurück. Im Haus selbst waren zahlreiche Fenster hell.
„Was ist hier los?" fragte Jack Havard beunruhigt.
„Weiß nicht, Sir!" antwortete ihm ein verhutzeltes Männchen. „Oben ist etwas passiert. Ich glaube, im dritten Stock. Wir sind alle von einem furchtbaren Donnerschlag erwacht. Das war genau um zwei Uhr."
Jack Havard drängte sich durch die Leute und lief hastig die Treppe hinauf. Erschüttert ging er auf seine Wohnung zu, die nur noch ein rauchendes Durcheinander von zersplitterten Möbeln und eingestürzten Wänden war. Kein Stein stand mehr auf dem anderen. Er sah aufgeregte Polizeibeamte, die durch die zerstörten Räume gingen und nach der Ursache dieser furchtbaren Explosion forschten. Er sah den gräßlich zugerichteten Schlafraum, in dem er ahnungslos gelegen hätte, wenn nicht . . .
In diesem Moment fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er dachte an Esther Harras, die mit ihm in ein kleines Boardinghouse gegangen war und lieber seine Verachtung ertragen hätte, als ihn in dieses Haus zurückkehren zu lassen. Jetzt sah er sie auf einmal in einem anderen Licht. Er begriff endlich, was er ihr zu verdanken hatte.
14
Es war eine Woche später. Jack Havard saß nach Feierabend in seinem Büro, als Direktor Egerton zu ihm ins Zimmer trat. Der dicke Mann ließ sich schnaufend in einem Sessel nieder. Er war nicht gerade freundlich gestimmt.
„Was ist nun mit diesem Kommissar?" fragte er polternd. „Er wollte uns doch helfen. Was hat er denn inzwischen erreicht? Haben Sie seither schon einmal mit ihm gesprochen? War er bei diesem Alban Lampard? Hat er ihn verhaftet?"
„Das sind viele
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