Kommissar Morry - Ich habe Angst
Fragen auf einmal, Sir", sagte Jack Havard lächelnd. „Ich habe Kommissar Morry vorgestern angerufen. Ich fragte ihn, wie es um unsere Sache stünde."
„Na und?"
„Der Kommissar war schon am nächsten Tag bei Alban Lampard. Leider hat er das Nest leer gefunden. Dieser Bursche hat rechtzeitig Wind von der drohenden Gefahr bekommen. Er machte sich heimlich aus dem Staub. Nun können wir lange suchen, bis wir wieder eine Spur von ihm finden."
„Was dann?" fragte Charles Egerton ratlos. „Der Aufsichtsrat will einen Rechenschaftsbericht von uns haben. Ich weiß nicht, was ich den hohen Herren sagen soll. Wir hätten eben schon früher besser aufpassen müssen. Dann wären diese Verluste nicht eingetreten."
„In Zukunft werden wir vorsichtiger sein", murmelte Jack Havard nachdenklich.„Wir werden keine Versicherungssumme mehr auszahlen, sobald uns ein Todesfall bedenklich erscheint. Sollte wieder eine junge Witwe zu mir kommen, deren Mann drei Tage nach der Hochzeit verstorben ist, so weiß ich, was ich zu tun habe. Ich werde diese Dame solange hinhalten, bis die Polizei auf der Bildfläche erscheint."
„Glauben Sie denn, daß diese Morde und Betrugsfälle weitergehen werden?" fragte Charles Egerton mit weit aufgerissenen Augen.
„Warum nicht?" sagte Jack Havard trocken. „Nachdem es bisher so gut klappte, wird Alban Lampard sicher ein neues Eisen in seinem Feuer schmieden. Er riskiert ja nichts dabei. Er selbst bleibt im Hintergrund. Die jungen Damen holen für ihn die Kastanien aus dem Feuer."
„Ich werde selbst noch einmal mit dem Kommissar sprechen", meinte Direktor Egerton zum Abschied. „Vielleicht gelingt ihm ein rascher Treffer. Es sollte mir nur recht sein. Die Aufsichtsratsitzung liegt mir verdammt im Magen."
„Wir reden morgen darüber weiter", sagte Jack Havard und griff nach Hut und Mantel. Es war schon sechs Uhr. Er hatte seit Mittag nichts mehr gegessen. Er hatte Appetit nach einer warmen Suppe und einem saftigen Braten. Er verließ mit hastigen Schritten das Verwaltungsgebäude und ging auf ein kleines Restaurant zu, das mit einer vortrefflichen Speisekarte aufwarten konnte. Als er das Lokal schon fast erreicht hatte, stockte er plötzlich mitten im Schritt. Vor ihm stand Lydia Scott. Sie blickte ihn aus ihren dunklen Augen wehmütig an. Ihr Gesicht war von herber Trauer überschattet.
„Sie, Mrs. Scott?" fragte Jack Havard verblüfft. „Das ist allerdings eine Überraschung. Ich hätte nie geglaubt, daß ich Sie noch einmal sehen würde. Sie haben doch ihr Geld bekommen. Sie müßten also längst aus London verschwunden sein, genauso wie die anderen, Mrs. Scott."
„Ich heiße nicht mehr Scott. Ich nenne mich jetzt Lydia Blomfield. Alban Lampard hat es so gewollt."
„Nun gut. Dann eben Mrs. Blomfield, Was wollen Sie also von mir, Madam? Bitte, fassen Sie sich kurz. Ich will zum Essen gehen."
„Ich werde Sie begleiten", sagte Lydia Blomfield mit hastigen Atemzügen. Sie betraten nebeneinander das Speisehaus. Sie nahmen an einem weißgedeckten Tisch Platz. Sie aßen Krabbensuppe, Filetbraten mit Pommes frites und verschiedenen Salaten. Als der Kellner das Geschirr abgetragen hatte, blickte Jack Havard neugierig zu Lydia Blomfield hinüber.
„Ich bin sehr gespannt, was Sie mir zu erzählen haben. Fangen Sie an! Sagen Sie bitte nichts als die Wahrheit."
Lydia nickte. Ihre dunklen Augen blickten schwermütig und glanzlos.
„Ich wollte Ihnen sagen, daß Sie mich zu Unrecht verdächtigen, Mr. Havard. Ich habe Mr. Scott nur geheiratet, weil ich Alban Lampard gehorchen mußte. Ich könnte es nicht ertagen, wenn Sie etwas Schlechtes von mir denken. Ich wollte kein Geld. Ich habe nicht auf das Erbe Norbert Scotts spekuliert. Ich bin schuldlos an seinem Tod. Das müssen Sie mir glauben."
„Angenommen, ich würde es glauben", sagte Jack Havard zurückhaltend. „Wäre Ihnen damit geholfen?"
„Ja", sagte Lydia Blomfield rasch und zum erstenmal leuchteten ihre Augen auf. „Ich hätte dann endlich wieder einen Halt. Ich brauche einen Menschen, dem ich vertrauen kann. Es wird sonst zu schwer für mich allein."
„Wo wohnen Sie jetzt?" fragte Jack Havard.
„In Bermondsey am Abbey Square."
„Allein?"
„Nein. Bei einem Professor."
„Ach? Bei einem Professor. Er ist sicher Witwer oder Junggeselle, nicht wahr?"
„Er ist Junggeselle", sagte Lydia Blomfield unbefangen. „Er hatte noch nie mit einer Frau etwas zu tun."
„Bis jetzt", warf Jack Havard spöttisch ein.
Lydia
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