Kommissar Morry - Ich habe Angst
krepiert."
Esther Harras atmete tief die staubige Luft ein. Sie sagte nichts. Nur ihre Lippen zuckten. Und ein schmerzhafter Druck stemmte sich gegen ihre Brust.
„Diesmal können Sie ihn nicht retten, auch wenn Sie es Vorhaben", zischelte Alban Lampard höhnisch. „Den Weg zur Polizei können Sie ja nicht riskieren. Und sonst gibt es keine Möglichkeit."
Er hat recht, dachte Esther Harras verzweifelt. Diesmal wird er sein schändliches Ziel erreichen. Mir sind wirklich die Hände gebunden. Ich kann nichts mehr für Jack Havard tun.
„Er hat lange genug hinter uns hergeschnüffelt", höhnte Alban Lampard weiter. „Es ist höchste Zeit, daß ein Ende gemacht wird. Morgen werden Sie in der Zeitung lesen, daß Jack Havard seinem Vetter in den Tod folgte."
Auch diesmal gab Esther Harras keine Antwort. Sie wußte, daß ihn jedes Wort nur noch mehr reizen würde. So schwieg sie. Die roten Lippen preßten sich gequält zusammen.
„Kann ich jetzt gehen?" fragte sie endlich.
„Ja, Sie können gehen."
Das war der ganze Abschied. Man ließ sie einfach laufen. Niemand hielt sie auf. Keiner von den drei Männern schenkte ihr einen Abschiedsgruß.
Als sie drei Minuten später in ihrem Wagen saß, grübelte sie angestrengt nach, wie sie Jack Havard doch noch warnen konnte, ohne die Polizei ins Spiel, zu ziehen. Sie wußte seine Adresse nicht. Sie hatte auch keine Ahnung, wo er arbeitete. Wie sollte sie ihn also jemals erreichen?
Sie parkte ihren Wagen hinter dem Cattle Market und suchte eine verschwiegene Weinstube auf. Sie bekam ein lauschiges Plätzchen hinter bleigefaßten grünen Fensterscheiben. Es war dämmrig in dem stillen Winkel. Niemand störte sie.
Wie könnte ich ihn finden, sinnierte sie unablässig. Er wird um fünf oder sechs Uhr nach Hause zurückkehren. Ich müßte auf der Post ein dringendes Telegramm an ihn aufgeben. Aber ich weiß ja seine Adresse nicht. Und auch die Post hat keine Ahnung. Die neue Wohnung steht ja noch nicht im Adreßbuch. Der Wirt blickte heimlich zu ihr her. Er konnte es nicht begreifen, daß eine so faszinierend schöne Frau allein war, daß sie keinen Freund erwartete, daß sie keinen Ring trug. Sie saß in ihrem Winkel, als hätte sie niemand auf der Welt. Dabei war sie das reizvollste Wesen, das er je gesehen hatte. Es wurde acht Uhr abends, bis Esther Harras endlich eine Erleuchtung kam. Sie zündete in ihrem Hirn wie ein Blitz. Hastig sprang sie auf. Sie trat atemlos an das Büfett heran.
„Haben Sie Telefon im Haus?" fragte sie in fiebernder Ungeduld.
„Natürlich, Madam! Kommen Sie in mein Büro. Sie können dort stundenlang reden, ohne daß Ihnen jemand zuhört."
Esther Harras ließ sich an dem schwarzen Apparat nieder. Sie hörte, daß sich die Tür hinter ihr schloß. Sie war allein. Mit zitternden Händen wählte sie die Nummer der Auskunft. Sie mußte eine Weile warten. Dann endlich bekam sie die
Verbindung.
„Ich möchte gern einen Bekannten anrufen", sagte sie gehetzt. „Er heißt Jack Havard und wohnte bisher in der York Street in Marylebone. Seine frühere Nummer war FRO 2436. Können Sie mir bitte seine neue Rufnummer mitteilen?"
Sie wartete. Alles in ihr war in hellster Aufregung. Ihr Herz machte die verrücktesten Sprünge.
Hoffentlich hat er bereits einen neuen Anschluß, dachte sie erregt. Wenn er kein Telefon in der Wohnung hat, war alles vergebens. Dann gibt es wirklich keine Rettung mehr für ihn.
Sie hörte eine Stimme in der Leitung.
„Hallo?" fragte sie ungeduldig. „Was ist?"
„Notieren Sie sich die Nummer, Madam! Jack Havard, wohnhaft am Westhill in Wandsworth, Nr. 184, Rufnummer TER 5197."
Danke!" stammelte Esther Harras mit schwankender Stimme. „Ich danke Ihnen vielmals."
Sie legte den Hörer auf die Gabel und wählte sofort die angegebene Nummer. Wieder bohrte die Angst in ihr. Hoffentlich ist er zu Hause, dachte sie.
„Hier Jack Havard", klang eine sympathische Männerstimme durch den Draht. „Wer spricht?"
„Esther Harras. Guten Abend, Mr. Havard. Ich . . . ich fühle mich recht einsam heute. Ich hätte auch etwas Wichtiges mit Ihnen zu besprechen. Könnten wir uns nicht treffen? Bitte, sagen Sie jetzt nicht nein."
Sie hörte ein dunkles Lachen. Dann kamen rasch die Worte: „Warum sollte ich nein sagen? Ich erinnere mich gern an unser letztes Zusammensein im Cafe Tabarin. Es war ein netter Abend. Ich habe auch nicht vergessen, daß Sie mir damals geholfen haben."
Er braucht nicht zu wissen, daß ich ihm auch
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