Kommissar Morry - Ich habe Angst
Die beiden Räume wirkten kahl und düster. Eine Petroleumlampe verbreitete ein gespenstisches Licht.
„Was wollen Sie hier?" fragte Alban Lampard heiser. „Sie bringen mich nur in Gefahr. Wissen Sie nicht, daß Sie steckbrieflich gesucht werden?"
„Doch", sagte Edward Brandon niedergeschlagen.
„Na, also! Warum schleichen Sie sich dann in mein Versteck? Haben Sie sich wenigstens davon überzeugt, ob Ihnen kein Detektiv folgte?"
„Mir ist niemand gefolgt, Sir! Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich hätte einen Schnüffler sofort bemerkt."
„Ich kann Sie hier nicht brauchen", knurrte Alban Lampard bösartig. „Ich bin selbst ständig auf der Flucht. Dieser verdammte Kommissar ist hinter mir her. Er macht mir das Leben zur Hölle. Er gönnt mir keine Atempause mehr. Seine Spione sind immer in nächster Nähe."
Er stierte auf Edward Brandon, der verkrümmt und armselig vor ihm stand.
„Was wollen Sie noch hier, in Teufels Namen? Scheren Sie sich weg. Sie haben doch einen tadellosen Paß von mir bekommen. Hier ist Geld. Los, nehmen Sie! Und nun nichts wie fort. Hören Sie auf meinen Rat. Verlassen Sie London noch in dieser Nacht!"
Edward Brandon verließ die Wohnung wie ein verprügelter Hund. Er lief wieder durch die Straßen. Er ging zum Waterloo Bahnhof. Er strich an den Fahrkartenschaltern entlang. Aber schon im nächsten Moment entdeckte er die uniformierten Streifen an den Sperren. Sie musterten jeden Fahrgast. Sie spähten forschend auf jedes Ticket. Sie ließen niemand unkontrolliert vorüber. Es ist hoffnungslos, dachte Edward Brandon entmutigt. Hier komme ich nicht durch. Ich muß es anders versuchen. Er nahm seine rastlose Wanderung wieder auf. Er irrte von Platz zu Platz, von Straße zu Straße. Er irrte durch halb London. Er war müde zum Umfallen. Und dann winkte ihm doch noch ein glücklicher Zufall. Er kam an einem Reisebüro vorüber. Er geriet mitten in eine lustige Feriengesellschaft, die den Herbst im warmen Süden verbringen wollte. Ueberall standen mächtige Koffer herum. Die Leute lachten und schwatzten und freuten sich auf ein paar unbeschwerte Wochen.
Sie beachteten ihn nicht. Niemand interessierte sich dafür, ob er ein gesuchter Mörder war oder nicht. Die braven Leutchen waren nur mit sich beschäftigt. Edward Brandon fühlte das sofort. Er witterte eine Chance. Wie ein Irrer stürmte er in das Reisebüro hinein. Er behielt die Mütze auf. Er machte ein möglichst einfältiges Gesicht.
„Ich möchte auch noch mit", stotterte er. „Haben Sie noch einen Platz frei? Vielleicht ist jemand von den Reisegästen krank geworden. Oder er ist aus einem anderen Grund von der Fahrt zurückgetreten."
„Sie haben Glück", murmelte der junge Angestellte, ohne den steckbrieflich gesuchten Mörder genau anzusehen. „Wir haben wirklich noch ein paar Plätze frei. Darf ich Ihnen eine Karte geben?"
Edward Brandon legte wortlos das Geld auf den Tisch, nahm das Ticket in Empfang und stürmte hinaus zu den anderen. Es fiel niemand auf, daß er kein Gepäck hatte. Kein Mensch nahm Anstoß daran, daß er schäbig gekleidet war. Niemand sagte ihm, daß er seinem Aussehen nach viel eher in ein Hospital gehört hätte als in diesen Autobus. Sein Gesicht war ausgehöhlt und verfallen. Die Augen lagen tief und entzündet in den Höhlen. Er erweckte den Anschein, als sei er eben aus dem Grabe auferstanden. Still verdrückte er sich ganz hinten im Autobus. Es war ihm gleich, ob es ein Fensterplatz war oder nicht. Er wollte nichts sehen. Noch weniger aber wollte er gesehen werden. Nervös rutschte er hin und her, als die anderen Fahrgäste neben ihm Platz nahmen. Er wartete in verzehrender Ungeduld auf die Abfahrt. Er zählte jede Minute. Immer wieder spähte er zur Tür. Ständig wartete er mit hämmernden Pulsen auf das Auftauchen eines Polizisten. Aber es geschah nichts. Die Tür wurde zugeworfen. Der Autobus setzte sich in Fahrt. Ruhig und monoton summte der Motor. Ringsum war fröhlichste Unterhaltung. Es hat geklappt, triumphierte Edward Brandon im stillen. Das schwerste liegt hinter mir. Anderswo kennen sie meinen Steckbrief nicht. Der falsche Paß wird mir alle Türen öffnen. Ich bin gerettet.
Der Autobus verließ die Innenstadt und bog auf die Ausfahrt nach Süden ein. Die freie Straße kam in Sicht. Die Häuser blieben zurück. Und dann kreischten plötzlich die Bremsen. Der Bus stoppte. Die Räder schleiften über den grauen Asphalt.
„Was ist denn los?" fragte irgendeine
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