Kommissar Steen 01 - Unruhe
zögerte, ehe sie antwortete.
»Tatsächlich habe ich die ganze Zeit angenommen, dass wir das tun würden, aber dann zeigte sich, dass es kein Programm für ihn gab.«
»Was meinen Sie damit?«
»Zeugenschutz ist sehr kompliziert. Den muss man lange vorbereiten, und das bindet einiges an Arbeitskraft. Ziemlich viele Leute müssen sich ziemlich lange damit beschäftigen.«
»Woher wissen Sie das?«
»Weil ich eine von denen bin, die sich damit beschäftigen. Kettler hatte nicht im Sinn, ihm ein neues Leben zu verschaffen – und war sich mit Jessen darüber einig. Sie hatten nicht vor, irgendetwas für ihn zu tun. Aber das wusste ich bis gestern nicht.«
»So etwas kann man doch nicht machen. Das ist doch verdammt noch mal so, als plane man den Tod eines Menschen mit ein. Ihr seid nur so schlampig mit den Informationen über ihn und mit seiner Sicherheit umgegangen, weil Kettler sowieso davon ausging, dass er geopfert werden würde.«
»Nein, so arbeiten wir nicht. Ich bin sicher, wir hätten etwas für ihn getan, wenn er uns Moussa geliefert hätte, es ist nur nicht sicher, dass er in Dänemark hätte bleiben können.«
»Dann seid ihr doch ein Haufen verdammter Amateure. Hätte er euch Moussa geliefert, wäre er fertig gewesen, nicht nur hier in Dänemark, sondern auch in Makedonien oder wo auch immer. Das Einzige, das ihn hätte retten können, wäre eine neue Identität gewesen. Was war mit seiner Familie?«
»Darüber gab es keine Absprachen.«
»Weiß seine Exfrau irgendwas von dieser Sache?«
»Das glaube ich nicht. Und ich habe auch nicht den Eindruck, dass sie daran interessiert war, ihn zurückzubekommen.«
In diesem Punkt war Axel ihrer Meinung, aber wie war der PET darauf gekommen?
»Ein Kollege war bei ihr und hat sie unter dem Vorwand, er arbeite an einem anthropologischen Forschungsprojekt, zu Scheidung und Ausweisung ihres Exmannes interviewt. Der Eindruck war ganz klar, dass sie keinerlei Interesse daran hatte, wieder mit ihm zusammenzukommen.«
»Diese Perspektive wäre ja wohl auch nicht allzu vielversprechend gewesen, was?«
Henriette Nielsen antwortete nicht.
»Dagegen war er voller Hoffnung, als ich am Donnerstagabend bei ihm war und ihm den Stoff gebracht habe. ›Ich bin wieder voll dabei, Henry. Mach dir keine Sorgen, das ist nur der Balkan-Blues. Ich bin zu lange weg gewesen, aber jetzt glaube ich wieder dran. Ihr werdet Moussa schon geliefert bekommen‹, sagte er.«
»Himmel Herrgott, das ist doch alles völlig verrückt. Für das hier gehört euch echt der Arsch versohlt.«
Axel bog von der Nørrebrogade in den Peblinge Dossering ein und parkte den Wagen in der Wesselsgade. Über einen Hinterhof waren es nur hundert Meter bis zum Blågårds Apotek. Hundert Meter und fünfundzwanzig Minuten, um sich zu entscheiden, wie er Nørrebros gefährlichsten Gangster unter Druck setzen sollte. Falls er kam. Sie hatten verabredet, dass Henriette mit dem Wagen nachkommen und am Blågårds Plads parken sollte, sobald Axel das Café betreten hatte.
»Was werden Sie ihm sagen?«, fragte Henriette Nielsen.
Zwei Minuten später waren sie sich einig, dass Axel hoch reizen und so heftig wie möglich auf den Busch klopfen sollte.
39
Blågårds Plads. Von Pressepraktikanten ebenso gefürchtet wie von jütischen Zeitungslesern, vielleicht nicht ganz unbegründet, wenn man seine Infos ausschließlich über die Medien bezieht. Axel ging etwas langsamer, als er sich dem Platz näherte. Ein kleiner BMW mit Seitenspoilern und allem möglichen Schnickschnack hielt vor dem Escobar, zwei Männer auf den Vordersitzen, einer daneben auf einem Damenfahrrad, einen Arm auf dem Dach. Ihr Gespräch verstummte, und sie behielten Axel im Auge, als er fünf Meter von ihnen entfernt stehen blieb und sich die Auslagen im Schaufenster von Bønnes Antiquariat ansah. In der Scheibe konnte er den Rest des Platzes überblicken. Er wirkte verlassen, und Axel ging davon aus, dass Moussa in einem Wagen nicht weit weg von hier wartete. Die Luft war kühl und feucht, er hatte Schmetterlinge im Bauch, als er zum Blågårds Apotek ging, der Kies knirschte unter seinen Sohlen, der Asphalt glitzerte regennass.
Blågårds Apotek war ein alteingesessener Treffpunkt der linken Szene an der Ecke des Platzes. Nach den Hausbesetzeraktionen in den 70er- und 80er-Jahren wurde hier das Tränengas mitkaltem Fassbier heruntergespült, und der populärste Drink des Hauses neben Bier war ein Havanna Club, weil viele Stammgäste
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