Kommissar Steen 01 - Unruhe
unternehmen nichts, bevor sie dich und die Kamera haben. Zu Rosa haben sie gesagt, dass es um Mord geht.«
»Was denkst du?«
»Alles, was sie interessiert, ist die Kamera, weil da irgendetwas über einen Mord drauf ist, der wahrscheinlich gegenüber auf dem Friedhof begangen wurde. Vielleicht ist es das Beste, du nimmst Kontakt mit ihnen auf.«
Das war so ziemlich das Letzte, das er von Liz zu hören erwartet hätte. Jetzt musste er standhaft bleiben. Er nahm das Telefon vom Ohr und leerte die Flasche.
»Ich checke erst mal die Aufnahmen, dann sehen wir weiter. Ich bin nicht in Gefahr, auch wenn sie hinter mir her sind.«
»Ich denke dabei doch verflucht noch mal nicht nur an dich. Glaubst du etwa, es ist ein Riesenspaß, dass sie hier herumschnüffeln? Ein Journalist vom Ekstra Bladet war hier und hat uns interviewt, wegen der Durchsuchung, und Rosa sagte, von Modpress habe auch jemand angerufen. Er wollte dir helfen. Vielleicht solltest du ihn anrufen. Rosa hat dir die Nummer geschickt.« Sie zögerte. »Ganz ehrlich, Piver, vielleicht ist es einfach das Beste, du stellst dich.«
Er spürte, wie müde sie war. So dicht dran, dass sie gestern Nacht hopsgenommen worden wären, so dicht dran, dass er sie zurückgewonnen hätte. Wenn nur Rosa nicht gewesen wäre. Fuck, wie viel Pech konnte man eigentlich haben?
»Ich muss jetzt wieder, sonst orten sie mich noch. Grüß Rosa. Und Liz …«
»Ja?«
»Danke, dass du mir hilfst. Ich habe da was wirklich Großes.«
Er ging seine SMS durch und fand die Nummer des Typen bei Modpress. Es stand kein Name dabei, aber er kannte Modpress, das Internetportal der Linken – schon ganz gut gemacht – und einziges Medium, das sich nicht von Kapital und Macht steuern ließ. Einige aus der heutigen Redaktion waren schon bei den Straßenkämpfen mit der Polizei am 18. Mai 1993 dabei gewesen, wie er wusste. Er hatte von dem Rausch gelesen, den sie gefühlt hatten, von der Macht, die sie gespürt hatten, als sie die Polizisten mit einem Steinhagel nach dem anderen zurückgedrängt hatten. Zu der Zeit hatte er Nørrebro zwar noch nicht mal buchstabieren können, aber Hölle noch mal, es war schon krass, was sie damals durchgezogen hatten. Die Bullen hatten in der Falle gesessen und sich nicht mehr anders zu helfen gewusst, als in die Menge zu schießen. Sie hatten ihr wahres Gesicht gezeigt, ihre Fratze. Die sogenannten Freunde und Helfer waren Soldaten, Tötungsmaschinen, die nicht die Bürger schützten, sondern nur die Macht und das Kapital. Und danach hatte das System versucht, das Ganze zu vertuschen. Nicht nur die Polizei, auch die Gerichteund die Juristen, all die Schweine, die sich immer gegenseitig schützten, wollten unter den Teppich kehren, dass die Polizei versucht hatte, Leute umzubringen. Wenn sie auf gewöhnliche Leute schossen, dann hatten sie nichts anderes verdient, als selbst getötet zu werden.
Piver speicherte die Nummer in seinen Kontakten, schaltete das Handy aus und nahm den Akku raus. Dann ging er zurück zur Pusherstreet und zu den Kneipen. Keine Autos, eine Dorfgemeinschaft mit ihren eigenen Regeln, ihrem eigenen Rhythmus und Puls mitten im gestressten Kopenhagen. Obwohl die Polizei die Pusherstreet in einer groß angelegten Aktion durchkämmt hatte, um den Handel zu unterbinden, waren immer noch jede Menge Haschisch und Pot auf den Tischen, und die Bullen kamen in der Regel nur dann mit ihren Razzien, wenn die Presse oder die Politiker den Freistaat mal wieder im Visier hatten. Er liebte diesen Ort, wegen seiner Ruhe. Aber jetzt war die Ruhe verschwunden. Es waren viel mehr Leute da als normalerweise, obwohl es Vormittag war. Die Unruhen der Stadt waren wie ein Virus, der Christiania angesteckt hatte.
Piver betrat das Nemoland. Hier fühlte er sich sicher genug, niemand würde ihm oder der Videokamera Aufmerksamkeit schenken. Er kaufte noch ein Bier, ließ sich auf einem alten Sofa in einer dunklen Ecke nieder und holte die Kamera hervor. Auf dem Schirm tauchte die Nørrebrogade direkt vor dem Kasten auf. Helllichter Tag. Bürgersteig, Fahrradweg, Fahrbahn, Fahrradweg, Bürgersteig, Friedhofsmauer und ein Stück Friedhof dahinter. Seiner Schätzung nach deckte die Kamera ungefähr hundert Meter in der Breite und fünfzig Meter in der Tiefe ab. Laut Zeitangabe war sie am Donnerstagvormittag um 10.21 Uhr gestartet worden. Er spulte vor und sah die Krawalle, Demonstranten, die Steine warfen, Container, die umgeworfen wurden, Polizei, die im
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