Kommissar Steen 01 - Unruhe
einem Ticket ohne Rückfahrkarte nach Pristina oder einem ordentlichen Vollrausch.
Jetzt glich die Straße einer Baustelle. Mitarbeiter des städtischen Betriebshofs waren dabei, verkohlte Barrikaden wegzuräumen. An vielen Stellen wurden Reste von Fensterscheibenaus ihren Rahmen geschlagen und massive Spanplatten anstelle des Glases mit lauten Hammerschlägen festgenagelt.
»He, Steen, Axel Steen!«
Er drehte sich zu der Stimme um, die einem Mann mit Handy, Kugelschreiber und Notizblock und in einer Funktionsweste mit einer Milliarde Taschen über einer blauen Thermojacke gehörte. Er kannte die wachen blauen Augen in dem großen, knochigen Gesicht. Jakob Sonne, Journalist beim Ekstra Bladet, einer der erfahrensten Kriminalreporter der Stadt, kam mit einem Fotografen im Schlepptau auf ihn zu.
»Tut sich hier was?« Sonne strich sich die beiden Gardinen aus braunroten Haaren mit der linken Hand aus dem Gesicht, während er auf Axels Reaktion wartete.
Der Fotograf begann, wie wild drauflos zu knipsen. Axel hob eine Hand und hielt sie vor die Linse der Kamera.
»Das kannst du gleich vergessen. Hier werden keine Bilder von mir gemacht«, sagte Axel.
»He, mal langsam, das ist öffentlicher Raum hier, ja, …« setzte der Fotograf an, aber Jakob Sonne unterbrach ihn.
»Lass gut sein, wir wollen nur hören, was hier passiert ist.«
Axel überquerte die Straße und ging hinüber zum Friedhof. Er hatte schon öfter mit Sonne zu tun gehabt, ein Reporter der alten Schule, der überall da rumschnüffelte, wo die Polizei ihre Arbeit tat, und der über viele Quellen innerhalb des Polizeiapparates verfügte, auch in den unteren Dienstgraden. Axel vertraute ihm zwar nicht, aber er kannte ihn als einen Mann, auf den Verlass war, wenn man davon bei einem Journalisten überhaupt sprechen konnte. Ein paar Mal hatte er ihm Informationen »außerhalb des Protokolls« gegeben, und Sonne hatte sich an ihre Absprachen gehalten, und das war maßgebend für Axel.
»Was machst du hier?«, fragte Axel, als Jakob Sonne zu ihm aufgeschlossen hatte.
»Das müsste ich dich fragen. Wir wollen nur die Stimmung hier draußen ein bisschen ausloten und mal sehen, ob es für eine Reportage reicht. Und? Wer ist tot?«
Axel wog das Für und Wider ab. Jakob Sonne war kein Idiot. Er konnte sich ausrechnen, dass Axel kaum hier war, um sich verbrannte Müllcontainer anzusehen. Und vielleicht hatte er schon im Polizeifunk von dem Mord gehört, es war also nichts Merkwürdiges daran, dass er hier war.
»Ich kann noch nicht viel sagen. Ein Mann, wahrscheinlich in den Vierzigern, wir wissen nicht, wer er ist. Immerhin haben wir ein paar Spuren.«
Jakob Sonnes Augen leuchteten auf.
»Was für Spuren?«
»Es ist noch zu früh, lass uns in Ruhe arbeiten, dann fällt schon was für dich ab. Und denk dran: Ich will nicht in eurem Blättchen oder in der Netzausgabe genannt werden, ist das klar? Wenn du dich nicht daran hältst, gibt’s Ärger.«
»Gibt es eine Verbindung zu den Straßenkämpfen? Ist er ein Autonomer?«
Axel dachte an die Sturmhaube, schwieg aber. Es war kein Problem für ihn, die Presse anzulügen, wenn es der Sache diente. Ob es die Aufklärung dieses Falles voranbrachte, wenn er die Kleidung des Mannes preisgab, war allerdings fraglich. Das hätte nur zur Folge gehabt, dass alle verfügbaren Kräfte darauf angesetzt würden, in den eigenen Reihen zu ermitteln, um ein schuldhaftes Verhalten der Kollegen auszuschließen.
»Auf den ersten Blick nein, aber man weiß ja nie.«
»Was soll das heißen?«, fragte Jakob Sonne und kniff die Augen zusammen. Sein Mund formte sich zu einem etwas dreisten Lächeln, als wisse er genau Bescheid. Wieder ließ er eine Hand durch das lange Haar gleiten.
»Jetzt zieh Leine und lass mich in Ruhe arbeiten«, sagte Axel.
Im selben Augenblick kam John Darling aus dem Gebäude gegenüber. Er grüßte kurz den Journalisten, der sich zurückzog und eine Zigarette anzündete. Wieder stieg ein Verlangen in Axel auf.
»Ich habe ihn zur Fahndung ausgeschrieben. Sein vollständiger Name ist Peter Smith, Piver, zweiundzwanzig Jahre alt, immatrikuliert an der Technischen Hochschule in Lyngby. Ein unbeschriebenes Blatt unter den Autonomen, festgenommen im Zusammenhang mit den Krawallen um das JuZe im Dezember. Ohne Anklageerhebung wieder auf freien Fuß gesetzt. Er selbst hat angegeben, Layouter bei der AFA zu sein«, sagte Axel zu Darling.
Sie schlugen gegen das Eingangstor zum Friedhof.
»Was wollte er?«,
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