Kommissar Steen 01 - Unruhe
Kollegen hatten erst letztes Jahr eine eigene Mailadresse bekommen, und es gab keine Verbindung von ihren Laptops in das zentrale Datenbanknetzwerk mit Informationen über Führungszeugnisse, Fahndungen und Strafanzeigen, die auf den Polizeiwachen im ganzen Land aufgenommen wurden.
»Ja.«
»Kannst du mir schicken, was wir über diesen Enver haben? Jetzt?«
»Tja, ich schicke dir, was ich habe, aber wenn du mehr willst, musst du wohl selbst im Präsidium anrufen und jemanden finden, der seine alte Akte hervorkramt.«
Axel beendete das Gespräch und ging zu Emma hinein. Sie lag auf dem Rücken, die Arme über den Kopf gestreckt, den Mund weit offen, sodass ihre Atemzüge mit einem sanften Zischen das Loch passierten, wo einmal die Vorderzähne gewesen waren. Die Lippen waren rau und trocken. Er schob die Gedanken an den Fall beiseite, setzte sich einen Moment neben sie und spürte der Liebe zu ihr nach, aber die Unruhe in seinem Körper ließ ihn eine Hand auf ihre Schulter legen und ihren Namen flüstern.
»Emma, du musst aufstehen. Wir wollen in den Kindergarten. Papa muss zur Arbeit.«
Sie brauchte eine Viertelstunde, um richtig wach zu werden, und Axel ging ins Wohnzimmer und fuhr seinen Laptop hoch, um BB s Mail zu lesen.
Enver Davidi, geboren 1959 im Dorf Shipkovica in den Bergen nördlich von Tetovo, ehemals Jugoslawien, heute Makedonien. Kam 1980 als Einundzwanzigjähriger mit seinem Bruder und seinem Vater nach Dänemark, der Rest der Familie blieb zu Hause. Enver Davidi verdiente seinen Lebensunterhalt als Taxifahrer. Er wohnte in einer Genossenschaftswohnung in der Korsgade, Indre Nørrebro, gemeinsam mit Bruder und Vater, klassisches 70er-Jahre-Gastarbeiter-Szenario, in dem die Männer zwei bis drei Monate Sommerurlaub in der Heimat verbringen und den Rest des Jahres schuften, um Geld an die Familie zu Hause schicken zu können. Der Vater starb 1989 an Krebs, der Bruder kam 2005 bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Beide in Tetovo begraben. Der Bruder war verdächtig, in Drogengeschäfte verwickelt zu sein, und wurde mehrfach angeklagt, aber nie verurteilt. Enver hatte nichts anbrennen lassen, was sein Führungszeugnis anging: Einmal Alkohol am Steuer, einmal Körperverletzung, dreimal Besitz von narkotisierenden Mitteln, einmal öffentliche Ruhestörung, eine polizeiliche Verwarnung und dann die ganz große Sache, der Drogenschmuggel 1996.
1995 heiratete er eine Dänin, 1996 bekamen sie ein Kind, 1997 wurden sie geschieden. Im selben Jahr wurde er zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Er focht das Urteil beim Obersten Gerichtshof an, verlor den Prozess aber, und im Jahr 2000 wurde er ausgewiesen, nachdem er die Hälfte seiner Strafe abgesessen hatte, wie es für Häftlinge mit Abschiebeurteil üblich war. 2003 wurde er in Malmö festgenommen und zurück nach Makedonien geschickt, nachdem die schwedische Polizei angefragt hatte, ob bei der Reichspolizei etwas gegen ihn vorliege. Zwei Jahre später war er von einer Streife in Nørrebro aufgegriffen worden – also im selben Jahr, in dem sein Bruder starb. Zwar hatte er ein Rückflugticket, wurde aber dennoch eingesperrt und sechs Tage später in ein Flugzeug gesetzt. Seitdem hatte die Kopenhagener Polizei zweimal einen Tipp von Zeugen bekommen, die ihn auf der Straße wiedererkannt hatten, aber auf Ersuchen des Ressorts für Anklageerhebungen hatte man entschieden, ihn aufgrund laufender Ermittlungen nicht festzunehmen.
Axel hielt Zeitpunkte, Namen, Adressen und Telefonnummern in seinem Notizbuch fest und notierte sich, das Rauschgiftdezernat zu kontaktieren und nachzufragen, was sich hinter der Formulierung ›laufende Ermittlungen‹ verbarg.
Die Informationen – insbesondere die letzte – warfen mehr Fragen auf, als sie Antworten gaben, denn warum hatte sich Enver Davidi einer besonderen Aufmerksamkeit erfreut? Und von wem? Und was hatte dazu geführt, dass man ihn nicht festnahm und wieder vor die Tür setzte, wenn er doch mehrfach gesehen worden war?
Andererseits hieß das, dass es irgendwo innerhalb der Polizei jemanden gab, der mehr über das Opfer wusste, als Axel es momentan tat.
Er scrollte die Kontakte in seinem Handy hinunter, bis er bei Frank Jensen ankam, einem alten Kollegen, der inzwischen als Verbindungsoffizier der Reichspolizei nach Skopje in Makedonien entsandt worden war.
»Axel, turnst du immer noch in Kopenhagen herum und jagst die bösen Jungs?«
»Ja, und wie läuft’s bei dir? Wie ist’s denn so in
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