Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich
drückte auf Pause. Für einen Moment hatte er geglaubt, er hätte sein eigenes Auto gesehen. Er betätigte den Rücklauf und drückte auf Abspielen. Es war ein dunkler Audi, vielleicht auch ein A 4, aber man konnte die Person am Steuer nicht erkennen.
Die Sequenz dauerte noch weitere fünf Minuten, doch es war der eine Augenblick gewesen, diese vielleicht fünf bis zehn Sekunden, die etwas abbildeten, was Meißner mit eigenen Augen gesehen hatte. Seltsam, diesen Augenblick, der nur noch in seiner Erinnerung existiert hatte, noch einmal zu erleben. Geborgt von jemand anderem, dessen Auge am Sucher der Kamera geklebt hatte. Damals war Roxanne Stein noch sehr lebendig gewesen.
Plötzlich hatte er keine Lust mehr, sich noch weitere von Naums Filmen anzusehen. Er wollte sich auch nicht länger in der Wohnung dieses verschrobenen Spießers aufhalten und sein säuberlich beschriftetes Archiv sichten. Er wollte nur noch ganz schnell raus.
Er schloss die Balkontür, packte die Kamera ein, steckte den Hausschlüssel in die Tasche und verließ die Wohnung. Kurz überlegte er, sich noch in ein Café zu setzen. Die Sonntagnachmittage in der Stadt waren für ihn jetzt meistens einsam und öde. Er dachte an den Schriftsteller Thomas Bernhard, der einmal gesagt hatte, er habe sich immer nach dem Alleinsein gesehnt. Und wenn er dann wirklich allein gewesen sei, habe er sich gefühlt wie der ärmste Hund.
Die Fußgängerzone war wie ausgestorben. Einzig das Stadt-Café fiel Meißner ein, aber dort würde er vielleicht Kirsti treffen, und es schien ihm nicht besonders passend, gerade ihr von Marlu, von seiner Affäre oder was immer daraus werden mochte, zu erzählen. Also beschloss er, ohne Umwege ins Präsidium zurückzugehen, wo schließlich sein gesamtes großartiges Team am heiligen Sonntag bei der Arbeit saß. Außer Holler hatte keiner Familie. Drei Singles. Bei Marlu war das aufgrund ihres Alters noch normal, bei Elmar Fischer war sowieso gar nichts normal, aber bei ihm? Manchmal fühlte er sich schon so, als habe er etwas Wichtiges verpasst, dann wieder war er froh, dass er nur sein eigenes Leben verantworten musste.
Das Team hatte sich in Marlus Büro versammelt. Sie saß am Computer, Fischer stand hinter ihr. Holler hing am Telefon, und jemand hatte frischen Kaffee gemacht.
»Richtig gemütlich habt ihr’s hier«, sagte Meißner zur Begrüßung. »Aber selbst gebackenen Kuchen gibt’s keinen, oder?«, fragte er, ohne jemand Bestimmten dabei anzusehen. Er legte die Kamera auf den Tisch und holte sich einen Becher Kaffee.
»Neuigkeiten?«, fragte er Holler.
»Die Kollegen in Wien schauen gerade nach, ob sie etwas über Naum finden.«
»Und bei euch?«
»Wir wissen, wem das Auto gehört.« Fischer platzte förmlich vor Stolz. »Jetzt halt dich fest, Stefan.«
Fischers Begeisterungsfähigkeit war irgendwie rührend. Wie lange würde sie sich wohl noch halten? Meißner kannte viele, die mit den Jahren Zyniker oder gleichgültig geworden waren. Offen gezeigte Begeisterung für den Beruf sah man bei den alten Hasen nur mehr selten. Irgendwann waren sie alle routiniert und abgestumpft. Oder sie waren es innerlich gar nicht, trugen aber nach außen eine coole Routiniertheit zur Schau.
»Es ist also jemand, den wir kennen?«, fragte er artig.
»Stimmt«, sagte Marlu, »aber auf der Liste von Frau Reim ist er nicht mit aufgeführt.«
»Also: Wer ist es?«
»Hans Grote, Beckerstraße 2 1/3«, platzte Fischer heraus.
»Der Nachbar? Der geniale Programmierer, der kein richtiges Alibi für die Tatzeit hat?«
»Genau der.«
»Aber er steht nicht auf der Liste. Auch keine Frau Grote«, wiederholte Marlu.
»Ruf Frau Reim an und frag sie, ob sie herkommen kann. Ich habe die beiden auf dem Videofilm. Vielleicht erkennt sie ja die Frau.«
»Okay, ich versuch’s. Dann können wir nur hoffen, dass sie am Sonntag nichts Besseres zu tun hat, als dem Polizeipräsidium einen Besuch abzustatten.«
»Sonst irgendwer auf der Liste, der uns interessieren könnte?«
»Bis jetzt nicht«, sagte Fischer.
Das Telefon klingelte, und Holler ging ran. Man hörte ihn »Aha!« und »Ach so!« sagen und am Ende »Danke, Kollegen«, und als er auflegte, grinste er wie ein Bauer aus dem Donaumoos, der gerade die größten Kartoffeln im Dorf geerntet hatte.
»Lass mich raten, Holler«, sagte Meißner. »Der Mann ist ein gesuchter Heiratsschwindler.«
»So was Ähnliches«, sagte Holler. »Sie haben ihn in Österreich wegen Betrugs
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