Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich
ein Zeichen, draußen zu warten. Sie hörte ihn in der Wohnung Türen aufstoßen, dann kam er zurück und bedeutete den beiden Frauen, ihm zu folgen.
Frau Haschova nahm Koffer und Reisetasche und setzte sich wie gegen einen inneren Widerstand in Bewegung. Marieluise wartete an der Tür auf sie und vergewisserte sich noch einmal, dass niemand im Treppenhaus war, bevor sie Frau Haschova in die Wohnung schob. Dann zog sie die Tür hinter sich zu.
Meißner stand bereits in der Küche und schien ganz in die Betrachtung des Chaos versunken, das hier herrschte. Marlu zwängte sich an ihm vorbei zum Fenster und riss es auf.
»Das kann ja kein normaler Mensch aushalten«, sagte sie. »Was für eine Schweinerei.«
Leere und halbvolle Bierflaschen standen auf oder lagen unter dem Tisch. Pizzakartons stapelten sich auf dem Boden, und die Reste, die sich noch darin befinden mochten, stanken zum Himmel. Auf der Arbeitsfläche türmte sich schmutziges Geschirr, dazwischen leere Schnapsflaschen. Korn, Jägermeister, alles durcheinander. Grote schien nicht wählerisch gewesen zu sein.
Frau Haschova drehte sich weg und ging zum Schlafzimmer, in dem der Schrank offenstand. All ihre Kleider waren herausgerissen worden und lagen als Kleiderberg am Boden. Im Schrank hingen neben Grotes Sachen nur noch leere Kleiderbügel. Das Bett war ungemacht, und die Bettwäsche sah aus, als hätte er sie seit dem Weggehen seiner Freundin nicht mehr gewechselt.
Elf Monate, dachte Meißner, das konnte hinkommen.
Die Frau schwieg betroffen, starrte nur auf den Stapel Kleider, öffnete dann den Koffer und die Tasche und stopfte unbesehen alles hinein. Ihre Bewegungen waren mechanisch.
Als sie fertig war, öffnete sie die linke Tür des Schrankes und zog aus dem untersten Fach eine elektrische Nähmaschine der Marke »Bernina« hervor.
»Darf ich die mitnehmen? Ist von meiner Mutter, aus Brünn.«
»Natürlich, wenn es Ihre ist«, sagte Meißner.
»Wie kann ich tragen?«, fragte sie hilflos, wobei sich ihre Aufregung zum ersten Mal in der Grammatik niederschlug.
»Wir werden Sie nach Hause fahren, keine Sorge«, sagte Marieluise.
Die Tür zum dritten Zimmer, das früher Abstellkammer, dann Kinderzimmer gewesen war, stand offen. Die Frau, die so lange alle Gefühle weggesperrt hatte, schlug die Hände vors Gesicht. Marieluise legte den Arm um sie. Das Kinderbett war ausgeräumt. Aus Bettwäsche und Decken hatte Grote mithilfe von Wäscheleinen, die zwischen Bett, Schrank und Fenster gespannt waren, eine Art Höhle gebaut. Darin lag die Matratze aus dem Kinderbett – über die ein Biene Maja-Laken gespannt war, auf das jemand Schokolade oder Schokoladensoße geschmiert hatte. Es war eklig.
»Brauchen Sie von hier etwas?«, fragte Marieluise.
Frau Haschova deutete auf ein Regal, in dem ein paar Bücher standen.
Marieluise nahm die Reisetasche und stopfte alles hinein. Die Bücher sahen alt aus. Es waren tschechische Kinderbücher, vielleicht noch ihre eigenen. Marieluise stellte die Reisetasche zum Koffer und zur Nähmaschine.
Meißner war noch immer in der Küche. Er hatte sich auf dem Tisch etwa einen Quadratmeter Platz freigeschaufelt und dort den Inhalt der Tischschublade ausgebreitet.
»Irgendetwas Wichtiges gefunden?«, fragte Marlu. »Etwas von Frau Stein?«
Meißner schüttelte den Kopf. Frau Haschova erschien in der Tür.
»Kannten Sie Roxanne Stein?«, fragte Meißner sie.
»Die Journalistin? Ja, ich habe sie im Frauenhaus kennengelernt. Das habe ich der Kollegin schon gesagt.
»Sie kannten sie aber nicht schon vorher? Aus dem Haus?«
»Nein. Ich kannte den Mann, der vorher in der Wohnung wohnte, aber auch nur vom Sehen.«
»Herrn Grünberg?«
»Ja. Er war Schauspieler. Und netter Mann.«
»Setzen Sie sich noch kurz, ich bin gleich fertig«, sagte Meißner zu ihr.
Sie sah sich nach einem Stuhl um, der frei von Pizzakartons und Essensresten gewesen wäre, fand aber keinen. Also trat sie ans Fenster und blickte auf die Straße hinaus.
Schon als er vom Graben in die Beckerstraße einbog, sah er das Polizeiauto vor dem Haus Nummer 2. Er setzte zurück, stellte den Wagen in der Parallelstraße vor dem Altenheim ab, ging dann durch den Innenhof der Altenwohnanlage und näherte sich von dort der Beckerstraße in Höhe des Hauses 2 1/3. Er duckte sich hinter die Bögen der Arkaden, der Durchfahrt in den Innenhof. Von dort sah er, dass das Küchenfenster seiner Wohnung geöffnet war. Und während er noch überlegte, was er jetzt
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