Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Titel: Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
Vom Netzwerk:
würden sie von Aasgeiern und Maden gefressen oder – wenn sie Glück hatten – von der Hitze sauber gebacken, von Sonne und Wind gebeizt, zusammengeschrumpft konserviert, nachdem der letzte Tropfen Flüssigkeit verdunstet war. Ray hatte gesagt, jedes Jahr würden in der Wüste Hunderte alter Leichen gefunden, meistens von dort hingeschafften Ermordeten. Etwa eine Hand ohne sonst etwas, die mit der Innenfläche nach oben am Straßenrand gelegen habe.
    «Ich finde, wir machen erst einmal Pause. Was sollen wir uns die Beine ausreißen. Wenn wir zum Abendessen nicht erscheinen, werden sie schon merken, dass etwas passiert sein muss, und uns suchen lassen.» Die Frage war nur, ob sie durchhalten würden, bis man sie fände, bis die Ranger vom Parkdienst ausschwärmten, die Karte in Raster geteilt, und sich mit Suchscheinwerfern an den Köpfen wie Bergarbeiter durch die Nacht gruben.
    Der Mond war aufgegangen, gewaltig und orange, dann blasser werdend, je höher er stieg. Die Luft war kalt, und Donald verfluchte sich dafür, dass er nicht doch Raucher war, dann hätte er wenigstens Streichhölzer dabeigehabt, und sie hätten ein Feuer machen, sich wärmen und Rauchsignale senden können. Er saß im Dreck, an einen Felsen gelehnt, und redete hastig. Er leckte sich die Lippen, fuhr sich mit der Zunge über den ausgetrockneten weißen Mund, während seine Augen nervös zuckend umherschweiften. Ein Geräusch im Gestrüpp ließ ihn aufspringen.
    «Was zum Teufel war das?»
    «Ein Wüstenhase, nehme ich an.»
    «Hat mich halb zu Tode erschreckt. Ich glaub, das Zeug, das sie mir im Labor eintrichtern, greift mich langsam an. Als sähe ich Gespenster. Was meinst du, ob es hier Rotluchse gibt?»
    «Nein», log Samson.
    «Woher willst du das wissen? Könnte sein, dass sie uns schon auflauern mit ihren giftigen gelben Augen.»
    «Im Führer stand nichts davon.»
    «Einen Freund von einem Freund hat’s erwischt, völlig zerfleischt. Auch ’n Rotluchs. Die Frau konnte ihn kaum identifizieren.»
    «Das hast du erfunden.»
    «Ich übersteh das nicht, Sammy. Sag den Anwälten, ich hätt’ gesagt, das Grundstück gehört dir. Ich schreib’s hier mit einem Stöckchen in den Dreck.»
    «Du überstehst das. Glaub mir, morgen werden sie uns finden, vielleicht schon heute Nacht. Und dann bist du wieder in Clearwater, und bald geht’s nach Hause. Weißt du, ich weiß nicht einmal, wo du wohnst.»
    «Das frage ich mich selber.» Er sprach undeutlich, fast lallend.
    «Nun sag schon, wo?»
    «In Vegas kennt man mich. Ich komme, und dann kriege ich ’n Zimmer gratis. Meistens wohne ich bei meiner Schwester und ihren Kindern in Phoenix, aber ich will das nicht überstrapazieren. Sonst hab ich auch ’n Lieferwagen, der ist mir bloß vorigen Monat zusammengebrochen. Wenn ich unterwegs bin, schlaf ich hinten drin. Und jetzt möcht ich dich mal was fragen, Sammy, weil ich mich gerade ein bisschen zu priesterlichem Gequatsche gerufen fühle.»
    «Berufen.»
    «Genau, wie gesagt.» Donalds Zunge flatterte über seine Lippen. «Weil, sehen wir mal den Tatsachen ins Auge, dass dies unsere letzte, du weißt schon was, zusammen sein könnte. Und eins will ich wirklich wissen: Was macht dich glücklich, Sammy? Also raus mit der Sprache, sag’s deinem alten Paps, ehrlich .»
    Irgendwo ein Flügelschlag, eine Wüsteneule, vielleicht auch ein Rabe oder ein anderer Vogel, den der Amateurornithologe namentlich zu bestimmen wüsste, gefolgt von einem Rattenschwanz an Fakten und Statistiken. Höchstwahrscheinlich auf der Balz, unverkennbar um die Seine buhlend, den typischen Lockruf in ihrem Ohr, eben ein echter Fleckenkauz.
    «Da müsste ich erst nachdenken. Das geht nicht so auf Anhieb, verstehst du? Mit einer Liste vielleicht.»
    «Also gut, dann fange ich an. ’n paar schöne Titten, einfache Sache. Reden wir erst mal darüber. Wenn du vom Hoover-Damm runterkommst und erst die Lichter siehst, Vegas bei Nacht. Da wird’s dir warm ums Herz. Muss nichts Großes sein. Ich mein die kleinen Freuden, die Spätvorstellung in den Folie-Bergères. Und dann ihre Stimme, meine Ex – Helen –, wie sie singt. Jetzt du, kannst doch deinem alten Paps seinen letzten Wunsch nicht verweigern.»
    «Du machst es ja ganz schön dramatisch, aber egal.» Samson sammelte ein paar Kieselsteine und zielte auf eine verrostete Büchse. «Lass mich nachdenken.» Eine Weile hörte man nichts als den scheppernden Ton der auf Blech treffenden Steine, während Samson über das

Weitere Kostenlose Bücher