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Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Titel: Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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langsam in Richtung Tür zu bewegen, doch Samson trat vor und schnitt ihr den Weg ab.
    «Ich will meine Objektträger.» Bisher war es eher Spaß und Spiel gewesen. Sie hatte seinen Wunsch erfüllt, ihm das Spektakel von eingelegtem Menschenfleisch zu zeigen, um einen Zwischenfall zu vermeiden. Wahrscheinlich hatte sie, genau wie die Empfangsdame im Motel, Routine im Umgang mit Irren. «Geben Sie mir die Objektträger», wiederholte er.
    Sie hatte feuchte, schwarze Pupillen, die Augen eines kleinen Waldtieres, und große Zähne. Wenn ihr Mund entspannt war, standen sie wie Hasenzähne unter der Oberlippe vor.
    «Das kann ich nicht», sagte sie mit zitternder Lippe.
    «Aber doch, das können Sie», versicherte er, indem er seine Hand neben ihrem Kopf an die Wand stützte und sich vorbeugte, um ihr seinen achtzigprozentigen Atem ins Gesicht zu blasen. «Sie gehören mir.»
    Sie zuckte mit flatternden Lidern zurück. Nervös schielte sie über seine Schulter auf den Computer.
    «Genau», ermutigte er sie. «Also los, sehen wir nach.»
    Er zog sie am Ellbogen quer durch den Raum. Sie drückte eine Taste, und das verschrammte Gerät erwachte zum Leben.
    «Wie heißen Sie?»
    Er sagte es ihr. Sie hatte immer noch die Latexhandschuhe an. Sein Name erschien auf dem Bildschirm. Seriennummer 66589037. Juveniles pilozytisches Astrozytom. Linker Schläfenlappen.
    «Das bin ich. Kommen Sie.» Er führte sie am Handgelenk zu den mit orangefarbenen Stickern für Biogefährdung gepflasterten Schränken. Systematisch, fast träge, zog sie die Metallschubladen auf und ging die Objektträger durch. Sie musste gehofft haben, es käme jemand herein, um sie von dieser Marter zu befreien. Samson beugte sich über sie, und sie sackte zusammen. Sie zog die richtigen Objektträger heraus und gab sie ihm.
    Es waren sechs. Er hielt sie ins Licht. Auf jedem waren drei identische Halbmonde mit einem kleinen Punkt darunter. Achtzehn Schnitte, fuchsienrot und eine Zelle dick, von der vor einem Jahr aus seinem Gehirn entfernten Geschwulst, mit der das alles angefangen hatte. Er hätte ebenso gut den Stein von Rosette erbeutet haben können, so bewegt war er von den Geheimnissen, die das in Scheibchen geschnittene Gewebe enthielt. Am liebsten hätte er es auf der Stelle unter dem Mikroskop untersucht, aber er wollte nicht zu hoch pokern. Er steckte die Objektträger in die Tasche und half der zitternden Laborassistentin auf die Füße. Er sah ihr tief in die schwarzen Waldaugen. « Brava », flüsterte er, dann drehte er sich um und eilte, auf dem Weg alle Lichter ausknipsend, womit er das Labor, die Assistentin und das ganze Großzeug in Dunkelheit tauchte, zur Tür hinaus.
    Eine Minute später wartete er vor dem Aufzug, als Luke um die Ecke gerannt kam, einen Arm wie ein Segel ausgebreitet, unter den anderen das Plastikmodell eines Gehirns geklemmt. Er schlidderte Samson vor die Füße und machte ein betretenes Gesicht. Samson hielt ihm den Mund zu, und als der Aufzug sich öffnete, stolperten sie hinein.
    Es war hell draußen, als sie das Krankenhaus verließen. Luke schlief im Taxi ein, die angezogenen Knie wie ein Baby umschlingend, während das Plastikgehirn mit seinen ausklappbaren Hemisphären neben ihm auf dem Sitz hin und her rollte. Sein Haar war nass geschwitzt, und sein Gesicht sah kränklich aus. Im Tageslicht wirkten die Leuchtreklamen schäbig. Manche Buchstaben waren durchgebrannt, würden irgendwann auf einer Müllhalde landen wie Reste eines ausrangierten Scrabblespiels. Samson tastete nach den Objektträgern in seiner Tasche und blickte sich ängstlich nach hinten um, halbwegs auf eine Verfolgungsjagd mit der Polizei gefasst.
    Vor dem Mirage rüttelte er Luke sanft aus dem Schlaf. Der Junge sah ihn an, lange und starr, wie einen Fremden, dann stolperte er aus dem Taxi, wobei er zu verstehen gab, dass er keine Begleitung wünschte. Samson sah ihn durch die messingumrandete Tür verschwinden, das Gehirn fest an sich gedrückt. Ein kurzer Widerschein im Glas, dann war er fort. Samson fühlte einen Stich von irgendetwas, vielleicht Bedauern. Er konnte die hässliche Szene im Krankenhaus schon als das sehen, was sie gewesen war: ein jämmerlicher letzter Versuch, sein Leben wieder unter Kontrolle zu bekommen. Er wandte sich dem Taxifahrer zu.
    «Zum Four Palms bitte.»
    «Zum was?» Der Fahrer hatte Nasenlöcher wie ein Bulle.
    «Zum Four Palms», wiederholte er mit einer Stimme, die ihm fremd in den Ohren klang.
     
    Als er in sein

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