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Kommt Schnee

Kommt Schnee

Titel: Kommt Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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er sich, dass er im Nachtrapport gelesen hatte, dass gestern ein Junkie tot aufgefunden worden war. Vielleicht war Heinzmann in dieser Sache unterwegs. Damit würde kein Kommissar behelligt. Solche Sachen wurden von Windler immer an eine niedere Charge delegiert. Warum auch einen Detektiv damit beauftragen, einen mageren Junkie zusammenzulesen? Dafür genügte ein Wachtmeister Heinzmann vollkommen. Gleich wie der Chef der Stadtreinigung keine achtlos weggeworfenen Coladosen aufliest. Dafür soll sich ein Asylant bücken.
    Nach nur 8 Minuten Fahrt stand Baumer in der Lobby vom Hotel Schweizerhof und ließ sich vom Portier bei Gomez melden. Der Portier tat dies nur, nachdem er Baumers Ausweis ausgiebig gemustert hatte. Sowohl die Vorder- als auch die Rückseite. Seine ganze Körperhaltung änderte sich abrupt, als er endlich überzeugt war, dass Baumer ein echter Basler Kommissar war. Er sprach nur noch mit durchgedrücktem Rückgrat und vorgestrecktem Kinn zu ihm. Baumer war sich sicher, dass er es hinter der Theke hätte knallen hören, wenn zur Uniform des Portiers ein Paar Stiefel gehört hätten. Der Portier hob den Telefonhörer ans Ohr und schlug mit flinken Händen das stumpfe Ende eines Bleistifts auf die Tasten seines Telefons. Dann führte er die Zunge an seine Oberlippe und verdrehte die Augen nach oben wie eine sizilianische Großmutter beim Gebet. Schließlich senkte er seinen Kopf in einer Halbspirale und sprach in die Muschel.
    »Herr Gomez? Ein Kommissar Baumer möchte Sie sprechen, darf ich ihn zu Ihnen lassen?« Nach kurzer Pause. »Jawohl. Danke.« Zu Baumer gerichtet, sagte er im Tonfall eines Obergefreiten, »Sie können hinauf. Zimmer 214. Lift zweiter Stock. Gang rechts.«
    Baumer nuschelte ein rumpelndes Merci und wandte sich grußlos ab. Neben dem Lift führte eine Treppe in die oberen Stockwerke. Der Kommissar sprintete den Aufgang hoch, eine alte Angewohnheit von ihm, um in Form zu bleiben. Nach einer Minute stand er vor Zimmer 214. Er klopfte. Er hörte das dumpfe »Herein« von Gomez und er trat ein.
    Gomez saß in einem Lederfauteuil am Fenster. Er hatte erneut einen grauen Anzug an, der mit dem glänzenden Schwarz des Sessels kokettierte. Jetzt erst sah Baumer, dass es ein teurer Anzug sein musste, denn der edle Stoff warf das Licht von der Tischlampe perlmuttartig zurück. Gomez stand auf und kam auf Baumer zu. Seine schwarzen lockigen Haare waren perfekt gekämmt, doch war die Frisur ein wenig zu sportlich für einen Businessmann geraten. Auch die Koteletten hingen einen Fingerbreit zu tief. Vielleicht war diese Frisur der letzte Schrei in Lissabon. Das Gesicht von Gomez war fein ziseliert. Hohe Wangenknochen wie ein Slawe, aber dank des breiten Kinns insgesamt ausgeglichene Proportionen. Wache Augen unter starken, dichten Augenbrauen. Die vollen Lippen und der braune Teint, der im abgedunkelten Zimmer noch intensiver wirkte, machten aus dem Mann eindeutig einen Lusitanier.
    »Guten Tag.« Gomez streckte Baumer die Hand hin. Sein Händedruck hätte einem englischen Gentleman nicht besser gelingen können. Nicht weich. Nicht hart. Fest, aber nicht unangenehm stramm. Letztlich unbestimmbar. Er war so neutral wie Henry Dunants Gesinnung. Gomez’ Augen sprachen hingegen eine andere Sprache.
    Baumer spürte einen Verdacht in den Kniekehlen: »Dieser Mann hat Dreck am Stecken.« Er fühlte das immer, wenn er jemanden vor sich sah, der irgendwie an einen Zigeuner erinnerte. Das hatte er seiner Großmutter zu verdanken. Vor unzähligen Jahren war ihnen einmal bei einem Spaziergang ein Fuhrwerk entgegengekommen, da hatte sie ihn bei der Kinderhand gepackt. »Andi«, hatte sie ihm so laut gesagt, dass es die Leute auf dem Wagen hören konnten, »pass ja auf! Das sind Zigeuner.« Dann, als sie der Wagen passierte, quetschte sie seine Hand so stark wie selten. Andi schaute neben der Großmutter hervor und sah die unrasierten Männer auf dem Pferdewagen, deren Gesichter den Anschein hatten, als wären sie noch nie gewaschen worden.

    Zigeuner.

    Dann war Andreas Baumer wieder im Hotelzimmer. Er schaute Gomez an und fragte sich, woran der wiederum dachte, wenn er ihm in die Augen blickte. Wahrscheinlich würde er Baumer als einen kleinen, dummen Schweizer Käsepolizisten klassieren.
    »Guten Tag, Herr Gomez.« Baumer ließ die Hand von Gomez los. »Ich bin Kommissar Baumer.«
    »Ja. Das weiß ich bereits. Der Portier hat es gesagt.« Unvermittelt schnaufte der Portugiese gepresst aus.

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