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Kommt Schnee

Kommt Schnee

Titel: Kommt Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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zusammen. Länger als es notwendig gewesen wäre, um eine Bitterkeit zu überwinden.
    »Als ich entlassen wurde, sagte mir Herr Windler, dass alles in Ordnung sei. Die Waffe könne ich behalten, denn ich hätte ja aus Notwehr gehandelt. Ja. Notwehr sei es gewesen. Dann. Es tut mir leid. Ich war so aufgewühlt. Ich hatte auch schon zwei große Whiskeys getrunken. Ich bin einfach rumgeirrt. Ich fuhr aufs Bruderholz. Die Gegend und den Wald dort kenne ich. Da habe ich die Waffe weggeworfen. Aber wo genau? Wo?« Gomez verwarf die Hände und schritt wieder in den Raum. »Ich weiß es nicht mehr.«
    »Wann sind Sie nach Hause gekommen?«
    »Ich weiß es doch nicht mehr«, antwortete Gomez dem Kommissar und fuchtelte wild mit den Händen. »Ich war so aufgewühlt. Ich hatte mich verirrt. Irgendwann sah ich ein großes Gebäude. Ich bin dahin, es war das Spital Bruderholz. Dort konnte ich mich wieder orientieren. Ich bin dann hierher zurückmarschiert. Vielleicht weiß der Portier, wann ich nach Hause kam. Es war sicher schon sehr spät.«
    Baumer hatte den Mann reden lassen. Gomez hatte aufgewühlt geschienen. Er hatte den Tod eines Menschen verursacht und machte sich deshalb Vorwürfe. Er wollte das Blut von seinen Händen waschen, warf die Waffe weg. Das war eine runde Geschichte und nachvollziehbar, wenn alles genau so abgelaufen war, wie der Portugiese erzählte.

    Wenn.

    Und wenn nicht? Die Geschichte klang plausibel. Ihre Teile passten nahtlos aneinander, ebenso wie die Einzelteile des neuen Kleides von Nicole Kidman, das ihr Dior für die Oscarverleihung schnitt, ein makelloses Ganzes ergeben. Jeder Dorfpfarrer hätte sein Amen dazugegeben und noch ein Gebet für die Seele des armen Sünders gesprochen. Selbst wenn Baumer die Waffe hätte suchen lassen, sie aber nicht aufzufinden gewesen wäre, was hätte das schon gezeigt? Nichts. Eine verlorene Pistole bedeutete nicht, dass die Geschichte sich nicht genauso zugetragen haben könnte, wie Gomez berichtete.
    Diese Eleganz in der Geschichte und in der Haltung von Gomez gefiel Baumer jedoch keineswegs. Sein Verdacht war gewachsen, auch wenn er weniger als eine tote Fliege in der Hand hatte. Er versuchte aber, dieses argwöhnische Gefühl nicht aus seinem Magen herausquellen zu lassen. Er wollte vermeiden, dass sein Gegenüber seine Gedanken erriet. Sich keine Blöße in diesem Spiel geben. Nur nichts anmerken lassen. Wer zieht, verliert.
    Baumer versuchte denn auch beiläufig und nonchalant, kurzum völlig unverbindlich, zu zeigen, dass er keinen Grund habe misstrauisch zu sein. Er hob seinen Kopf leicht angewinkelt zu Gomez. »Ich kann Sie gut verstehen. So eine Geschichte kann einen ganz schön mitnehmen. Ich verstehe, dass Sie diesen Revolver nicht mehr bei sich tragen wollten.«
    Baumer sah ein ganz leises Entspannen in der Haltung von Gomez. Der Kommissar hatte genug gesehen. Also machte er deutliche Anstalten zu gehen.
    Der Portugiese merkte das und öffnete ihm die Tür. Er schien erleichtert und verabschiedete sich mit einem dankbaren Kopfnicken.
    Baumer war fast aus dem Zimmer heraus, als er Alvaro Gomez fragte, was er denn arbeite.
    »Ich bin Angestellter der Pogimex. Das steht für Portugal Import Export. Für die mache ich Business Development.«
    »Verdient man dabei gut?«
    »Ja, das ist sehr gut bezahlt. Man bekommt eine Provision von jedem getätigten Geschäft. Mir geht’s ganz gut damit.«
    Baumer war auf dem Korridor. Letzte Worte zum Abschied wurden gewechselt. Gomez schloss die Tür. Stille umgab Baumer. Er stand da. Sagte nichts. Hatte nichts. Wusste nichts.
    Der Kommissar sah auf seine großen Füße. Sie schienen ihm länger als je. Dann machte er einen Schritt vorwärts und sagte: »Gottverdammt.«

    *
    Vor der Tür des Hotels Schweizerhof blieb Baumer auf dem Bürgersteig stehen. Der Schneefall, der zuvor leicht eingesetzt hatte, war wieder abgeflaut und hörte jetzt gänzlich auf. Der Himmel blieb aber bedeckt und trübe, auch wenn das aschfahle Grau daraus verschwunden war und einem lichteren Grau, wie der Farbe einer vor langer Zeit geweißelten Zimmerdecke, gewichen war. Auch die Schneeluft hatte sich verzogen. Diese Luft, die Schnee ankündigt.
    Diese Luft, die Andi Baumer nicht hätte erkennen können, wenn sich seine Großmutter nicht einmal, während sie seine Kinderhand gehalten hatte, tief zu ihm hinunter gebeugt und ihm ins Ohr geflüstert hätte: »Schmeckst du das, Andi? Schmeck einmal!« Und sie hatte sich wieder aufgerichtet

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