kommt wie gerufen
nickte. »Sie haben fast gar kein Fieber mehr. Ich habe Ihre Stirn befühlt, während Sie schliefen.« Die Zellentür öffnete sich ächzend, und ein Wächter trat ein. »Ich glaube, es ist Zeit für meinen Spaziergang«, sagte Mrs. Pollifax zu Farrell.
»Sie sehen wie die Katze aus, die es auf den Kanarienvogel abgesehen hat, Herzogin«, bemerkte er spöttisch. »Was immer Sie auch planen, es wird sich nicht durchführen lassen. Vergessen Sie nicht, daß wir hier in Albanien sind.«
»Ganz richtig, in Albanien, dem Land voll ursprünglicher Schönheit«, belehrte sie ihn und rauschte aus der Zelle.
Kaum hatte sie die Zellentür hinter sich geschlossen, sagte eine bekannte Stimme hinter ihr: »Da sind Sie ja, Mrs. Pollifax. Ich habe auf Sie gewartet.«
Es war Oberst Nexdhet, und genau ihm wäre sie gern ausgewichen.
Er hatte einen Feldstecher um den Hals hängen und trug ein Buch unter dem Arm. »Wir können gemeinsam spazierengehen«, sagte er.
»Sollen Sie mich bewachen?« fragte sie kalt. Sie betraten das Wachzimmer, und sie sagte herzlich: »Guten Morgen, Major Vassovic. Was macht Ihr Rücken?«
»Ah, Zoje Pollifax«, strahlte der Major sie an. »Er tut schon noch weh, aber heute nacht ich habe geschlafen wie Baby.«
»Mrs. Pollifax!« rief Lulasch, der eben eintrat und ihr die Tür offen hielt. »Bitte nehmen Sie meine Sonnenbrille.« Er zog die Brille von seiner Nase und blinzelte ihr zu: »Nicht vergessen, wir sind Geschworene, Sie und ich.«
»Was hat er damit gemeint?« erkundigte sich Oberst Nexdhet, als sie in den strahlenden Sonnenschein traten.
»Nichts Wichtiges«, versicherte Mrs. Pollifax ihm leichthin. Sie blieb kurz stehen, um sich an das grelle Licht zu gewöhnen, ehe sie weiterging. »Eine wahre Verschwendung, daß wir beiden Gefangenen von so vielen Leuten bewacht werden.«
»Wir gehen in diese Richtung«, entschied Oberst Nexdhet und deutete nach Osten. »Nein, das ist keine Verschwendung. In dem größeren Gebäude sind noch andere Gefangene.«
»Das habe ich nicht gewußt. Seit wann sind Sie schon hier, Oberst?«
»Oh, seit einigen Monaten.«
»Finden Sie es nicht sehr trostlos hier?«
»Ab und zu. Ich gehe viel spazieren, weil ich die Vogelwelt gern beobachte.« Er wies auf den umgehängten Feldstecher.
Er half ihr über eine tiefe Erdrille hinweg, und sie gingen bergauf zu dem Wald.
»Sind Sie gern Oberst bei der Sigurimi?« fragte sie.
»Das ist mein Beruf«, antwortete er achselzuckend. Dann sah er sie an und lächelte. »Sie wollen alles wissen, und das ist gut. Aber Sie mißtrauen niemandem, und das ist schlecht. Wir sind beide nicht mehr jung und nähern uns dem Ende eines langen Lebens, deshalb kann ich offen mit Ihnen reden. Ich habe in Ihnen den Wunsch festgestellt, vertrauen zu dürfen. Dieses Verlangen, sich an jemanden anzulehnen, ist eine Schwäche.«
Mit nachdenklichem Gesicht folgte Mrs. Pollifax ihm zwischen den Bäumen nach. Sie hatte schon vergessen, daß er ihr Unbehagen eingejagt hatte. »Nein«, widersprach sie ehrlich, »da bin ich nicht Ihrer Meinung. Ich lehne mich an niemanden an, wie Sie es nennen. Ich finde nur das Bewußtsein tröstlich, unter Menschen zu sein.«
Er betrachtete sie, und wieder fiel ihm die abgeklärte Weisheit in ihren Augen auf. »Dann ist das wohl eine weibliche Eigenschaft?«
»Vielleicht. Wollen Sie damit sagen, daß Sie niemandem vertrauen?«
»Niemand, außer mir selbst.«
»Warum?« fragte Mrs. Pollifax.
Er zuckte die Achseln und half ihr über einen umgestürzten Baum. »Ein Gebot des gesunden Menschenverstandes. Vielleicht habe ich in meinem Leben schon zuviel gesehen. Ich bin dreiundsechzig. Ich habe in Albanien unter den Türken gedient und unter König Zogu.
Wir waren mit Mussolini befreundet, bis er sich in unseren Feind verwandelte und uns besiegte, und ich kämpfte damals bei der Widerstandsbewegung für den Kommunismus. Und jetzt sind es eben die Chinesen, die uns helfen.« Wieder zuckte er die Achseln. »So ist das Leben. Nichts hat Bestand außer der Idee. Sie allein ist klar, rein und von keinem Wechsel besudelt.«
Mrs. Pollifax nickte. »Ja, Sie haben zuviel vom Leben zu sehen bekommen. Zumindest von dessen bitterer Seite.«
»Auf dem Balkan, in Albanien, ist das Leben bitter«, sagte er.
Mrs. Pollifax dachte nach. »Mit Idee meinen Sie natürlich die politische Idee, also den Kommunismus. Aber stimmt es denn, daß der sich nie ändert? Denken Sie doch nur an den Stalinismus-«
»Man paßt sich an«,
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