kommt wie gerufen
den Verstand verloren hätte.
Spöttisch sagte er: »Ein Seil, eine Pistole, Verkleidung, Lebensmittel und einen Kompaß – sonst noch was? Wollen Sie nicht lieber gleich eine Limousine bestellen?«
»Sie sind nicht sehr aufgeschlossen«, sagte sie gereizt.
Es war ihr erster Streit. Wütend antwortete er: »Und ich glaube, Sie fantasieren nicht weniger als ich, Herzogin, aber wenn Sie sich damit wenigstens die Zeit vertreiben können, dann wünsche ich Ihnen recht viel Vergnügen. Und jetzt verzeihen Sie, ich werde wieder schlafen, denn Schlaf ist die beste Fluchtmöglichkeit, die ich mir denken kann.«
»Feigling«, sagte Mrs. Pollifax naserümpfend, aber kaum war ihr das Wort entschlüpft, bedauerte sie es auch schon heftig. Aber es war bereits zu spät. Farrell hatte die Augen geschlossen und schnarchte leise mit halboffenem Mund. Mrs. Pollifax betrachtete ihn und überlegte, ob er wohl wußte, wie gut ihm ein Bart stehen würde.
Noch ein paar Tage, dachte sie und er wird einen wunderschönen Bart haben. Aber dann riß sie sich von ihren müßigen Gedanken los und vertiefte sich wieder in >Albanien – Land voll ursprünglicher Schönheit.<
Am Spätnachmittag erschien Major Vassovic mit kochendem Wasser, einem Taschenmesser und einem Handtuch. Mit mißbilligendem Gesicht, das bald einen ziemlich bedrückten Ausdruck annahm, erklärte er, beauftragt worden zu sein, bei der Operation zu assistieren. Mit unwirscher, nervöser Stimme wandte er sich an den schnauzbärtigen Mann, der jetzt ihre Zelle teilte. »Er heißt Adhem Nexdhet«, sagte er zu Mrs. Pollifax. »Ich habe ihm gesagt, er soll Ihnen die Kerze halten. Lulasch hat heute dienstfrei.«
»Mir soll er die Kerze halten«, überlegte Mrs. Pollifax, und die Knie wurden ihr plötzlich sehr weich. Sie legte ihre Spielkarten beiseite, stand auf und versuchte, sich der zahllosen Schiefer und Glassplitter zu erinnern, die sie im Laufe ihres Lebens aus kleinen Knien und Fingern entfernt hatte, aber sie fand keinen Trost in dem Gedanken.
Ihr fiel nur ein einziger Rat ein, den ihr einmal ein Arzt erteilt hatte: »Weinen Sie nie für den Patienten, das soll er selbst besorgen. Helfen Sie ihm lieber.«
Mrs. Pollifax nahm Major Vassovic das Messer ab, kochte es sorgfältig aus, warf Farrell, dessen Augen offen waren, nur einen kurzen Blick zu und machte sich an die Arbeit, die ihr bevorstand.
Rasch und unbarmherzig stocherte sie in dem infizierten Fleisch nach der Kugel, denn sie wußte, daß Geschwindigkeit menschenfreundlicher war als Behutsamkeit. Als das Messer auf harten Widerstand stieß, dankte sie Gott, daß die Kugel in keinem Muskel steckte, holte mit einer raschen, brutalen Drehung des Messers die Kugel an die Oberfläche und hörte sie auf den Steinboden klirren.
Da sie nicht wußte, womit sie ihre Behandlung abschließen sollte, goß sie heißes Wasser über die infizierte Haut, und jetzt schrie Farrell doch schmerzerfüllt auf.
»Ich habe schon gedacht. Sie seien stumm«, sagte sie ihm.
»Am Berge Sinai würde man Sie nie anstellen, Herzogin.« Sein Gesicht war schweißnaß.
»Wirklich? Und dabei wollte ich mich nächste Woche bewerben. Ewig schade.«
Er grinste schwach. »Sie glauben auch immer. Sie müßten sich überall freiwillig melden, wie? Sind Sie fertig mit Ihrer Metzgerarbeit?«
»Fix und fertig.«
Farrell nickte und drehte das Gesicht zur Wand. Mrs. Pollifax begriff, was er bereits ausgestanden hatte und was ihn noch alles erwartete, und ihr Entschluß zu fliehen festigte sich. Sie konnte und durfte Farrell nicht deshalb am Leben halten, damit General Perdido ihn foltern konnte. Selbst wenn der Fluchtversuch mit dem Tode endete, war dieses Ende immer noch barmherziger als General Perdidos geplante Verhörmethoden. In diesem Augenblick beschloß sie, den Versuch zu wagen, und damit fielen alle Zweifel von ihr ab. Jetzt ging es nicht mehr länger um das ob, sondern um das wann und wie.
Major Vassovic hatte sich zurückgezogen und ihr die Waschschüssel und mehrere Handtücher dagelassen. Mrs. Pollifax tauchte ein Handtuch ins Wasser und begann das Blut von Farrells Matratze zu waschen.
»Das haben Sie gut gemacht«, sagte Adhem Nexdhet unvermittelt. »Ohne jede Gefühlsduselei.«
Mrs. Pollifax trat überrascht einen Schritt zurück. »Dann sprechen Sie also doch englisch«, sagte sie vorwurfsvoll.
Er lachte spöttisch. »Das haben Sie doch längst gewußt, nicht wahr? Mir ist der kleine Trick nicht entgangen, den Mr. Farrell mir
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