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kommt wie gerufen

kommt wie gerufen

Titel: kommt wie gerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman
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antwortete er. Mit trockenem Lächeln zwirbelte er seinen grotesken Schnurrbart und fragte: »Und was sind Sie, politisch gesehen?«
    »Republikanerin«, bekannte Mrs. Pollifax. »Obwohl ich zweimal für Adlai Stevenson gestimmt habe. Er ist ein so bezaubernder Mann.«
    »Dann passen also auch Sie sich an«, bemerkte er lächelnd. Er berührte ihren Arm und lenkte sie nach rechts. »Wir sind weit genug gegangen«, sagte er. »Wir wollen längs des Felsgrats zurückgehen. Von hier hat man einen schönen Blick, und Sie werden das Tal aus einem ganz neuen Winkel sehen.«
    Sie war nun zu dankbar, einen Augenblick stehenbleiben zu dürfen. »Schön, nicht wahr?« sagte Oberst Nexdhet. »Und die Menschen dort unten, nicht größer als schwarze Ameisen.«
    »Ja, ich habe sie eben auch bemerkt. Was bauen sie denn dort unten?«
    »Eine Abschußrampe«, sagte er unbeteiligt. »Wenn ich Menschen aus dieser Entfernung sehe, wird mir ihre Schutzlosigkeit immer so recht deutlich. Finden Sie nicht auch?«
    Eine Abschußrampe, hatte er gesagt. Eine Abschußrampe? Der Schock über diese atemberaubende Neuigkeit rieselte Mrs. Pollifax über den Rücken. Die Chinesen bauten also in Albanien eine Raketenbasis? Sie vergaß den Fehlschlag von Mexiko. Wenn sie Mrs. Carstairs die Meldung über diese Abschußrampe überbringen konnte, dann war sie als Spionin alles andere als ein Versager. Bestimmt hätte Oberst Nexdhet ihr nicht so unvorsichtig die Wahrheit verraten, wenn er nicht überzeugt davon wäre, daß sein Geheimnis und Mrs. Pollifax in Albanien bleiben würden, aber das war nur ein Ansporn mehr. Laut sagte sie abfällig: »Sie sollten lieber Straßen bauen. Wozu brauchen Sie eine Abschußrampe?«
    Oberst Nexdhet reichte ihr den Arm. »Wollen wir umkehren? Die Chinesen sind sehr geduldig, Mrs. Pollifax, sie bauen für die Zukunft. Vorläufig nimmt man sie als Großmacht noch nicht ernst, aber überlegen Sie doch, wieviel sie schon erreicht haben!«
    »Sicher ein sehr unternehmungslustiges Volk«, antwortete sie und überlegte, wie sie am besten das Thema wechseln konnte, ehe sich ihr auffallendes Interesse verriet. »Aber ich habe nicht einen Ihrer Vögel gesehen, Oberst Nexdhet.«
    »Gerade dadurch wird die Beobachtung ja so spannend, Mrs. Pollifax «, erwiderte er ernst. »Hier oben in den Felsen nisten nur ganz wenige.«
    Bald darauf traten sie wieder in die Sonnenhitze, und die Steinbauten lagen vor ihnen.
    Mrs. Pollifax hatte ihre Zelle morgens um halb zehn verlassen. Es war Viertel nach fünf, als sie, von der Sonne und dem Stolz über eine Reihe winziger, geglückter Leistungen gerötet, wieder zurückkehrte.
    Sie fand Farrell aufgeregt vor. »Daß Sie mir das ja nie wieder machen!« platzte er heraus, setzte sich auf seiner Pritsche auf und musterte sie wutentbrannt.
    »Was denn?« fragte sie verwundert.
    »Einfach den ganzen Tag lang verschwinden. Ich habe beinahe den Verstand verloren, weil ich Sie schon vor einem Erschießungskommando oder auf einer Folterbank gesehen habe. Und jetzt haben Sie die Unverfrorenheit, mit seligem Gesicht hereinzuschlendern. «
    Sie trat an seine Pritsche und küßte ihn zärtlich auf den Scheitel. »Wie lieb von Ihnen, sich um mich zu sorgen. Es tut mir leid.«
    »Dann versuchen Sie wenigstens, auszusehen, als ob Sie zerknirscht wären«, herrschte er sie an. »Ich bin ein todkranker Mensch. Wo waren Sie?«
    »Ach, da und dort«, sagte sie leichthin. »Ich war mit Oberst Nexdhet spazieren, habe mit Lulasch im Freien gesessen und Major Vassovics Rücken massiert. Wir haben besprochen, daß wir morgen abend eine kleine Party in der Wachstube abhalten wollen.«
    »Eine Party!« explodierte Farrell.
    »Ja. Lulasch kennt nämlich verschiedene Volkslieder aus den Albaner Bergen, die er mir vorsingen möchte, und Oberst Nexdhet wird ein Musikinstrument beisteuern, und Major Vassovic hat sich sogar bereit erklärt, zur Feier des Tages etwas Alkoholisches mitzubringen. So hat eines zum anderen geführt, und jetzt wird eben eine richtige Party daraus.«
    Farrell starrte sie mit offenem Mund an. Nach einer Minute ließ er den Mund hörbar zuschnappen. »Also gut«, sagte er wütend, »und was bezwecken Sie wirklich damit, Herzogin?«
    Sie setzte sich neben ihn und zog aus der Tasche ihrer Jacke ein Stück Fließpapier, das sie ihm auf den Schoß legte. »Damit kopieren wir die Karte aus Lulaschs Buch«, flüsterte sie. Dann zog sie eine flache, runde Metallhülse hervor und legte sie neben das Papier.

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