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kommt wie gerufen

kommt wie gerufen

Titel: kommt wie gerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman
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»Was das ist, brauche ich Ihnen wohl nicht erst zu sagen.«
    Er drückte den Deckel auf und pfiff leise. »Ein Kompaß! Aber wie, um alles in der Welt – und wer – «
    »Ich habe ihn vom Major eingehandelt, nachdem ich ihm den Rücken durchgeknetet habe. Ich habe ihm gesagt, daß ich mich schon jetzt von meinen irdischen Gütern zu trennen beabsichtige. Er hat zwei neue Lippenstifte gekostet.«
    »Ja, aber hat ihn der Tausch nicht argwöhnisch gemacht?«
    Sie lächelte erinnerungsschwer. »Er hat mir als Gegengabe verschiedene Gegenstände angeboten. Es war recht lustig. Zuerst bot er mir eine alte Uhr, dann eine Füllfeder und dann diesen Kompaß, der seit Jahren schon im Wachzimmer steht, wie er sagte. Funktioniert er?«
    »Bewegen tut er sich«, stellte Farrell stirnrunzelnd fest.
    »Das Wachzimmer liegt im Osten, und die Wand, an die Sie sich lehnen, muß Westen sein.«
    Er blickte auf. »Woher wissen Sie das?«
    »Weil wir bei unserer Ankunft mit der aufgehenden Sonne geritten sind«, sagte sie. »Wir sind aus dem Westen, aus der Stadt Shkodra gekommen, wo unser Flugzeug landete. Und laut Landkarte fließt die Drina, die ich von der Felswand aus sehen konnte, von Osten nach Westen in die Adria, also muß Jugoslawien direkt hinter uns liegen.«
    Endlich hatte sie seine Aufmerksamkeit erregt. Er ließ den Kompaßdeckel zuschnappen und sagte leise: »Vielleicht sagen Sie mir lieber genau, was Sie vorhaben, Herzogin, wenn es nicht schon zu spät ist, mich noch danach zu erkundigen. Sie waren ja wirklich höchst emsig.«
    »Natürlich will ich es Ihnen sagen«, antwortete sie angeregt. »Schließlich bin ich ja nur ein Laie, aber dafür ein besonders entschlossener, das sage ich Ihnen lieber gleich, und ich brauche dringend Ihren fachmännischen Rat. Hat man Sie in Fluchttaktik geschult?«
    »Leider nein«, antwortete er belustigt.
    »Ach, wie schade! Na ja, daran läßt sich wohl auch nichts ändern.«
    »Wie reizend von Ihnen, es so auszudrücken.«
    »Vor allem aber glaube ich, daß ich Sie über unseren Zellennachbarn informieren muß. Ich hätte es schon längst getan, wenn Sie in besserer Verfassung gewesen wären.« Flüsternd schilderte sie ihm den Austausch von Klopfzeichen an der Wand, der sich an dem Tage vollzogen hatte, an dem Farrell vom Fels gesprungen war. »Seit damals habe ich nichts mehr gehört, aber heute nachmittag bin ich rund ums Gebäude gegangen und habe eine Nachricht durch den Mauerschlitz unserer Nachbarzelle geworfen.«
    »Eine Nachricht?« wiederholte Farrell. »Aber wir sind in Albanien, und das ist ein albanisches Gefängnis. Ich glaube kaum, daß unser unbekannter Nachbar englisch verstehen wird.«
    »Es war keine sehr präzise Nachricht, aber ich habe sie aus den wenigen Worten aus Lulaschs Buch zusammengebastelt«, erklärte Mrs. Pollifax. »Ich habe geschrieben: Nacht-Schlaf-Stimme-bringen, wenn ich mich richtig entsinne. Jedenfalls habe ich gehofft, daß unser Nachbar begreifen wird, was ich damit meine, und wir wieder irgendwie von ihm hören werden.« Im Flur wurden Schritte laut und Mrs. Pollifax riß den Kompaß und das Papier an sich, stopfte beides in ihre Handtasche und zog sich auf ihre Pritsche zurück. Sie saß unschuldig vor ihrem Patiencespiel, als die Tür sich öffnete und Adhem Nexdhet – nein, Oberst Nexdhet, fiel ihr ein – eintrat. »Hatten Sie einen angenehmen Spaziergang?« erkundigte sie sich höflich und wurde sich plötzlich mit beklemmender Deutlichkeit des eingeschmuggelten Buches unter ihrer Matratze, der in der Zelle verteilten Munition, der Lebensmittel und des Kompasses in ihrer Handtasche bewußt.
    »Wie heißt dieses Spiel, mit dem Sie sich dauernd beschäftigen?« fragte er und blieb neben ihrem Tisch stehen.
    »Verschiedene Arten von Patiencen. Äußerst zuträglich für Geist und Nerven. Ist General Perdido schon zurück?« fragte sie gleichgültig.
    »Er kommt am Donnerstagabend«, sagte Adhem Nexdhet gedankenverloren und betrachtete die vor ihr aufgelegten Karten.
    Mrs. Pollifax zwang sich zu einem beschämten Lachen. »Und ich weiß nicht mal, was für einen Tag wir heute haben.«
    »Dienstag.« Nexdhet ließ sich neben ihr auf die Pritsche fallen.
    »Zeigen Sie mir das«, verlangte er. »Warum legen Sie die Karten kreisförmig auf?«
    »Dieses Spiel heißt Uhrenpatience«, erwiderte Mrs. Pollifax und begann, ihm die Spielregeln zu erklären. Aber ihr Herz klopfte beklommen, denn wenn General Perdido am Donnerstag zurückkehrte und heute

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