kommt wie gerufen
schmetterte Mrs. Pollifax. Sie blieb leicht schwankend stehen und sang eine Strophe aus >Gott schütze Amerika<. Und damit zog sich Mrs. Pollifax unter dem Vorwand, müde zu sein, von der Party zurück. Die Pistole des Generals trug sie in ihrer Handtasche, aber ein Messer hatte sie noch immer nicht beschaffen können.
»Ich habe es versucht«, sagte Mrs. Pollifax, die auf der Kante von Farrells Pritsche saß und ihn traurig ansah. »Ich habe versucht, ein Messer zu stehlen, aber die Pistole war alles, was ich mitgehen lassen konnte.«
Farrell bewunderte die Waffe unverwandt. »In diesem Augenblick, Herzogin, haben sich die Chancen für unseren Ausbruch gewaltig verbessert.«
»Aber Messer ist es keines«, sagte sie untröstlich. »Natürlich läßt sich ein Baumwipfel mit einer Pistole abschießen, aber einen Krückstock kann man damit nicht anfertigen.«
»Trotzdem ahnen Sie nicht, um wieviel besser ich mich jetzt fühle«, erwiderte Farrell. »Bringen Sie mir die Munition.«
Nachdem Farrell die Pistole geladen hatte, tätschelte er sie liebevoll und steckte sie unter seine Matratze. »Und jetzt empfehle ich Ihnen zu schlafen, denn wir haben einiges vor uns.«
In diesem Augenblick kam Oberst Nexdhet in die Zelle, und Mrs. Pollifax bemerkte, daß Farrell sie vielsagend anstarrte. Fragend zog sie die Augenbrauen hoch. Langsam und ausdrucksvoll wanderte sein Blick zu Nexdhet, der seinen Rock auszog, um sich schlafen zu legen. Mrs. Pollifax’ Augen folgten Farrells Blick und weiteten sich vor Überraschung. Oberst Nexdhet hatte in einem Halfter an seinem Gürtel ein Messer stecken.
»Unser drittes Wunder«, sagte Farrell leise.
Mrs. Pollifax wagte kaum, daran zu glauben, aber da sie ein praktischer Mensch war, sagte sie auf der Stelle: »Sie oder ich?«
Beschämt wies Farrell auf sein Bein. »Sie, fürchte ich.«
Mrs. Pollifax nickte. Sie schob ihren Tisch fort, gähnte gekonnt, kratzte sich am Bein – bestimmt waren es Läuse und legte sich nieder. »Gute Nacht, Oberst Nexdhet«, sagte sie honigsüß. »Es war ein reizender Abend, nicht wahr?«
»Wie?« sagte er überrascht. »Ach ja, gute Nacht.« Er nickte Farrell flüchtig zu und streckte sich auf seiner Pritsche aus.
Farrell begann sanft zu schnarchen. Sie glaubte nicht eine Sekunde, daß er schlief. Dann kamen auch von Nexdhet laute Schnarchtöne. Aus dem Flur oder dem Wachzimmer war kein Laut zu hören. Langsam setzte Mrs. Pollifax sich auf. Dabei raschelte die Matratze noch lauter als gewöhnlich. Sie blieb einige Minuten aufrecht sitzen, bis sie ganz sicher war, daß das Schnarchen genauso gleichmäßig wie vorher war. Dann stand sie auf und wartete abermals, ehe sie sich Nexdhets Pritsche näherte. Sie war schon bei ihm angelangt, als sie die beinahe unbezwingliche Lust überfiel, zu kichern. Ihr war eben eingefallen, daß sie als Kind in einer Schulaufführung eine Rolle gespielt hatte, in der sie wie ein Gespenst dahingleiten mußte. Streng rief sie sich zur Ordnung und beugte sich über Nexdhet. Er atmete und schnarchte regelmäßig weiter. Ihre Hände griffen nach seinem Gürtel und sie fummelte an dem Halfterriemen, den sie behutsam nach oben zog. Sobald das geschehen war, sank sie auf ein Knie, stützte mit einer Hand den Halfter ab, legte die andere um den Messergriff und zog an. Mühelos glitt das Messer in ihre Hand. Nexdhet hatte sich noch immer nicht bewegt, und nach kurzem Zaudern schlich Mrs. Pollifax zu Farrells Pritsche.
Er schnarchte unverändert, aber seine linke Hand streckte sich ihr offen entgegen und schloß sich um das Messer, das sie hineingelegt hatte. Dann drehte er sich zur Seite, wandte ihr den Rücken zu. Mrs. Pollifax wußte, daß er das Messer unter seiner Matratze versteckte.
Sie kehrte zu ihrer eigenen Pritsche zurück und sank, trotz raschelnder Füllung, erleichtert darauf nieder. Zwei Minuten später war sie schon eingeschlafen.
16
Als Mrs. Pollifax am Morgen erwachte, wußte sie sofort, daß der Tag der Entscheidung angebrochen war. Sie lag da und dachte gelassen, beinahe neugierig darüber nach, denn in jedem Leben kam unweigerlich einmal der Augenblick, in dem man sich damit abfinden mußte, daß einem die Zukunft völlig entglitten war und nun unwiderruflich vom Glück, vom Schicksal oder von Gott abhing. Man konnte nichts anderes tun, als sich fügen und sein Bestes tun. Würden sie und Farrell in vierundzwanzig Stunden die gleichen Steinmauern anstarren oder frei sein, ja, würden sie den
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