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kommt wie gerufen

kommt wie gerufen

Titel: kommt wie gerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman
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als stumpfe Ergebenheit, und allmählich versetzte die Aussicht auf ihren Fluchtversuch sie in beinahe übermütige Stimmung. Sie räusperte sich. »Glauben Sie immer noch, daß wir die Dunkelheit abwarten sollten?«
    »Alles andere halte ich für puren Selbstmord.«
    Mrs. Pollifax legte ihren Löffel nieder und nickte. »Stimmt. Aber welche Richtung sollen wir einschlagen? Von hier aus, meine ich. Sicher werden unsere Wächter voraussetzen, daß wir den Weg benützen, auf dem wir gekommen sind.«
    »Bestimmt, aber haben Sie einen besseren Vorschlag?« fragte Farrell hänselnd.
    Sein Spott war verständlich. Natürlich wäre es sehr raffiniert, sich nach Osten, also ins Landesinnere zu wenden, und General Perdido dadurch erst einmal in der verkehrten Richtung suchen zu lassen, aber schließlich müßten sie doch in großem Bogen zurückkehren zum Meer und hätten damit letzten Endes nichts gewonnen als einen gewaltigen Umweg. Und für den war Farrell noch nicht kräftig genug. Es war an sich zweifelhaft, ob er die Kraft besaß, irgendeinen Weg zu gehen, aber die Vorstellung, ihn zurückzulassen, war Mrs. Pollifax unerträglich. Sie mußten es gemeinsam oder gar nicht versuchen.
    Niedergeschlagen antwortete sie: »Nein, leider nicht.«
    »Dann brauchen wir also Dunkelheit und sehr viel Glück«, lächelte er. »Sie können es sich immer noch anders überlegen. Ich meine, ob Sie mich in dieses gewagte Abenteuer mit einbeziehen wollen. Ich wäre sehr erleichtert, wenn Sie mich hier ließen.«
    »Kommt gar nicht in Frage«, wehrte Mrs. Pollifax entschieden ab.
    »Wenn es mir allein glücken sollte, was ich bezweifle, wäre ich nach gelungener Flucht zutiefst unglücklich, also wäre die Flucht sinnlos.«
    Sie stand auf, denn die Tür wurde aufgestoßen und Lulasch trat ein. »Guten Morgen, Lulasch. Darf ich jetzt ins Freie?«
    »Ja, Zoje Pollifax. Das war doch eine hübsche Feier gestern, nicht wahr?«
    »Wunderschön«, antwortete sie mit mehr Fröhlichkeit, als sie empfand, und ging.
    Heute bewachte sie überhaupt niemand, und Mrs. Pollifax fand, das sei eine gute Gelegenheit, zur Abschußrampe zurückzukehren, um sich besser darüber zu informieren. Eigentlich fand sie es beunruhigend, daß man ihr soviel Freiheit einräumte. Zwar war es angenehm, aber es bewies auch, wie sicher sich ihre Entführer fühlten.
    Sie fragte sich, wer von ihnen wohl naiver sei, sie oder ihre Gegner, aber leider ließ sich das erst nach vollzogener Flucht feststellen.
    Noch nie hatte das Leben verlockender ausgesehen als angesichts ihres vielleicht sehr nahen Todes, und Mrs. Pollifax ertappte sich dabei, wie sie die Erde, den Himmel und die Wolken lange und innig betrachtete.
    Sie bahnte sich ihren Weg durch das Geröll und stieg entschlossen zum Wald auf. Bei den Bäumen angelangt, hielt sie an, um Luft zu holen und sich zu orientieren. Sie und der Oberst hatten hier den Wald betreten, waren dann bergab gegangen und etwa eine halbe Meile weiter wieder auf den Felsen gestoßen. Sie wollte deshalb den gleichen Weg wählen, den Oberst Nexdhet ihr gezeigt hatte.
    Mrs. Pollifax trocknete sich die feuchten Schläfen mit dem Taschentuch und setzte ihre Wanderung fort. Sie war nur wenige hundert Yards in den Wald gegangen, als sie vor sich ganz sonderbare Geräusche vernahm. Die Geräusche kamen ihr bekannt vor, paßten aber nicht in die freie Natur, und deshalb konnte sie trotz größter Anstrengung die Ursache dieser Geräusche nicht entdecken. Das hastige Kreischen drang zwischen zwei hohen Felsblöcken hervor.
    Maßlos neugierig blieb Mrs. Pollifax stehen und schlich dann auf Zehenspitzen über den Nadelteppich zu den Felsen. Eine Stimme zerriß die Stille des Waldes, aber das Schnarren blieb unverändert hörbar.
    »Nebengeräusche!« dachte Mrs. Pollifax erfreut. Natürlich, das waren Nebengeräusche. Jemand hatte hier im Wald ein Radio in Betrieb.
    Die blecherne Stimme verstummte, und zu Mrs. Pollifax’ Überraschung begann eine lebendige Stimme hinter den Felsen zu sprechen. Mrs. Pollifax steckte den Kopf zwischen die beiden Felsblöcke und blinzelte durch das spärliche Licht auf den Mann, der in dieser kleinen Höhle vor ihr auf der Erde hockte. »Ja, Oberst Nexdhet!« stammelte sie. Er sprach in ein Telefon, nein, in ein Funkgerät, korrigierte sie sich, und beim Klang ihrer Stimme ließ er das Gerät fallen wie glühende Kohle.
    »Mrs. Pollifax!« Sie hatte ihn sichtlich bei einer Heimlichkeit ertappt, und er starrte sie wütend an.

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