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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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Tourismuswirtschaft suche, könne er von Glück sagen, die Stelle im staatlichen Restaurant der staatlichen Fluggesellschaft gefunden zu haben – er betonte das Wort »staatlich« so auffällig, daß mehr Spott denn Respekt herauszuhören war.
    Maher möge nicht vergessen, sagte Sarani, daß gerade dieser staatliche Betrieb die Möglichkeit für lukrative Nebenbeschäftigungen biete. Der junge Mann arbeite für Sarani als Informant und gleichzeitig – das wisse Sarani längst – für Mustafa, weshalb Sarani ihm nur Dinge mitgeteilt habe, die auch für Mustafas Ohren gedacht waren.
    Der Kellner deutete mit einer großen Geste auf die Speisekarte und sagte, um von dem unangenehmen Thema wegzukommen, unter den Sprachen, die er beherrsche, liege ihm das Italienische besonders; ein hoher Gast aus Italien, den er in diesem Lokal bediente, habe ihn auf Grund der Aussprache und des Wortschatzes für einenItaliener gehalten, was den jungen Mann ermunterte, dem Gast, einem Minister, zuzuflüstern, er würde gern in Italien arbeiten, worauf der Minister ihm unauffällig seine Visitenkarte zusteckte und versprach, ihm behilflich zu sein.
    Da er also nicht mehr lange in diesem Restaurant arbeite, fuhr Maher fort, könne er offen sprechen. Seine Tätigkeit hier sei Sklavenarbeit. Zwar werde er entlohnt, der Umstand jedoch, daß es ein Glücksfall sei, Arbeit zu bekommen, sei für den Glücklichen ein Unglück, denn derjenige, der einem Arbeit gebe, empfinde sich als großer, gütiger Herr über Leben und Tod, der einem durch Arbeit das Leben ermögliche, andererseits über das ganze Leben des Arbeiters verfüge, in der Arbeitszeit wie in der Freizeit.
    Alle hätten sich um sieben Uhr früh einzufinden, da werde die Arbeit für den Tag eingeteilt, wer Dienst am Nachmittag habe, müsse den weiten Weg in die Stadt wieder zurückfahren, es gebe keine Planung für den nächsten Tag, der Dienstplan für den jeweiligen Tag sei konfus, man ertrage diese Willkür nur, indem man sie als Schicksal hinnehme. So sehe seine Arbeit aus.
    Wenn Maher, sagte Sarani, sich nicht beeile, nach Europa zu gelangen, werde er auch dort Sklavenarbeit machen müssen. Dem Kapitalismus dienten die dritte und die zweite Welt als Vorbild für die erste – nicht umgekehrt. Ehe Maher Ägypten verlasse, fuhr Sarani fort, wolle er ihm zu überlegen geben, auf der Farm zu arbeiten, die Produktion dort sei genossenschaftlich organisiert, aber auf eine primitive Weise, man werfe den Ertrag in einen Topf, lege beiseite, was man für Investitionen brauche, wobei es nur eine oberflächliche Debatte darüber gebe,worin zu investieren sei; und was im Topf bleibe, werde unter allen verteilt.
    Er wundere sich, sagte Sarani zu Maher und Freudensprung, daß die Farm über zwei Jahrzehnte als sozialistischer Betrieb gleichsam naturwüchsig existiere, ohne daß es je eine Debatte über Sozialismus gegeben hätte, wo doch auf der Farm über so vieles andere unentwegt debattiert werde. In dieser Situation fände er Reflexion über das, was auf der Farm sich zutrage, höchst angebracht, und Maher scheine ihm für die Aufgabe, eine solche Debatte in Gang zu bringen, sehr geeignet.
    Freudensprung genoß die Szene und wartete darauf, sie zu stören. Maher, sagte er, werde sich nicht beeilen, nach Italien auszuwandern. Er kenne ihn seit Jahren als begabten Intellektuellen – und als talentierten Lügner. Geschickt habe er verheimlicht, daß er in Kairo ein Taxiunternehmen mit sieben Autos besitze. Dieses werde er von Italien aus nicht erfolgreich führen können.
    Der Kellner, obwohl von der Attacke überrascht, fiel nicht aus der Rolle, er ignorierte Freudensprung, blieb der Speisekarte und Sarani zugewandt, bat allerdings um die Erlaubnis, sich entfernen zu dürfen, da er andernorts gebraucht werde, hinterließ seine Kontonummer und eilte zu dem Gast, der ungeduldig nach ihm winkte.
    Freudensprung fühlte sich durch Essen und Wein gestärkt, besonders belebte ihn, daß der junge Mann zwischen ihn und den Freund getreten war. Endlich bestand die Welt nicht mehr nur aus ihm und Sarani. Mißtrauen und Haß beherrschten ihn nicht länger, sie existierten zwar, aber außerhalb von ihm, als ein Thema, über das er mit Zacharias debattieren könne. Aber nicht hier und nicht jetzt.

11
    Das Kunstwerk
    Heinrich Freudensprung klopfte einen Dreivierteltakt auf den Tisch, zaghaft noch, und wunderte sich, daß seine Finger so beweglich waren wie früher. Zuvor, beim Essen, waren sie bloß

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