Komplott
doch nicht einfach nach Hause gehen!«, protestierte Newman.
»Weil ich dann jemanden brauchte, der auf mich aufpasst«, erwiderte Paula. »Das ist mir schon klar. Aber ich will ja gar nicht nach Hause, sondern würde gern hier im Büro bei Monica bleiben und auf Sie warten.«
»Das lässt sich machen«, sagte Tweed.
Paula setzte sich auf ihren Stuhl und schloss die Augen. Irgendetwas sagte ihr, dass Tweed diesmal nicht den richtigen Riecher gehabt hatte.
36
»Minister Macomber ist unten bei George und möchte Sie gern sprechen«, sagte Monica, nachdem sie das Telefon abgehoben hatte.
Tweed hatte Mühe, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen. Alle bis auf Paula und Monica hatten auf seine Anweisung hin das Büro verlassen, um vor der anstrengenden Nacht, die ihnen bevorstand, noch rasch zu Abend zu essen.
»Sagen Sie dem Minister, dass er heraufkommen soll.«
Tweed stand auf und ging zur Tür, um seinen Besucher willkommen zu heißen. Es war halb neun, und draußen war es schon lange dunkel. Nachdem Monica George Bescheid gesagt hatte, lief sie ans Fenster und zog den Vorhang zurück. Unten auf der Straße parkte eine lange schwarze Limousine, an deren Kühlerhaube ein uniformierter Chauffeur lehnte. Sie hörten die schweren Schritte von Nelson Macomber die Treppe heraufkommen.
»Herzlich willkommen, Herr Minister«, sagte Tweed und streckte Macomber lächelnd die Hand hin. Dieser ergriff sie und strahlte Tweed mit jenem Lächeln an, das Politiker gern für die Kameras der Presse aufsetzen. Paula, die einen Aktenordner in der Hand hielt, erhob sich von ihrem Schreibtisch.
»Ich lasse Sie beide allein«, sagte sie. »Sie haben bestimmt wichtige Dinge miteinander zu besprechen.«
»Aber nein! Nicht doch!«, sagte Nelson und ließ Tweeds Hand los. »Bleiben Sie doch bitte, Miss Grey. Sie sind schließlich nach Tweed die wichtigste Person hier im SIS, deshalb sollen Sie auch hören, was ich Ihrem Chef zu sagen habe.«
Nelson trug jetzt einen nagelneuen blauen Nadelstreifenanzug, der ihn irgendwie schlanker machte. Unaufgefordert setzte er sich auf den Stuhl vor Tweeds Schreibtisch und lehnte höflich ab, als Monica sich anbot, ihm Tee, Kaffee oder sonst etwas zu bringen.
»Sie sind der Erste, den ich nach meiner Ernennung zum Minister aufsuche, Mr. Tweed«, sagte er mit einem verbindlichen Lächeln.
»Das schmeichelt mir, Herr Minister.«
Paula hatte Tweed noch nie so ruhig und entspannt gesehen. Er saß, beide Ellenbogen auf den Schreibtisch gestützt, vor Nelson Macomber und ließ ihn keinen Moment aus den Augen.
Macomber rückte seine teure Seidenkrawatte zurecht und räusperte sich, als ob er zu einer großen Rede im Parlament ansetzen würde.
»Ich weiß, dass Sie ein viel beschäftigter Mann sind, Mr. Tweed, also lassen Sie mich gleich auf den Punkt kommen. Es geht um die Moral in diesem unserem Land, die gegenwärtig auf einem traurigen Tiefpunkt angekommen ist. Alles nur Erdenkliche ist erlaubt, und im Fernsehen sieht man widerwärtige Pornografie, bei der jedes Tabu gebrochen wird. Zugegeben, diese Filme werden meist erst spätnachts ausgestrahlt, aber nicht immer. Und selbst dann gehörten sie eigentlich einer strengen Kontrolle unterzogen, denn viele Minderjährige sehen sich diesen Schmutz an, während ihre Eltern sich auf irgendwelchen wilden Partys vergnügen. Finden Sie das nicht auch bedenklich, Tweed?«
»Ja, natürlich.«
»Das Gift der Unmoral ist längst dabei, unser ganzes Land zu infiltrieren. In London kann man nachts kaum mehr einen Meter gehen, ohne dass man an irgendeiner Straßenecke einem offen kopulierenden Paar zusehen muss. Das ist Sodom und Gomorrha in aller Öffentlichkeit.« Seine Stimme klang jetzt so laut und beschwörend, als predige er vor einer großen Menschenansammlung. »Unbescholtene Frauen sind selbst am helllichten Tag nicht mehr sicher vor Triebtätern und Vergewaltigern, die dann von unseren Richtern auch noch mit milden Strafen bedacht werden, sofern ihr Verbrechen überhaupt zur Anzeige kommt. Diese Richter müssen ausgewechselt werden gegen solche, die sich nicht scheuen, drakonische Strafen zu verhängen.
Finden Sie diese Ansicht etwa schockierend?«
»Nicht im Geringsten. Bisher kann ich alles unterschreiben, was Sie gesagt haben.«
»Kinderschänder werden ein paar Jahre in eine geschlossene Anstalt gesteckt und dann, wenn irgendein Seelendoktor es für ›sicher‹ erklärt, wieder auf die Menschheit losgelassen. Meist vergehen bloß
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