Konny Reimann
irgendwelchen Urlauben, Werbebriefe und allerlei üblicher Krempel in Papierform, nur die ersehnte Green Card war nie dabei. Je größer die zeitliche Distanz zu unserer Bewerbung war, desto seltener dachten wir an einen Erfolg oder an die Sache an sich. Ab und an öffnete Manu den Briefkasten und flüsterte ihm ein leises „Mann, schade“ entgegen. Das war’s, dann eben ein anderes Mal. Egal, is’ so.
Manu verkaufte zu der Zeit bereits eigene Kindermode über das Internet. Sie war gelernte Schneiderin, sie hatte tolle Ideen, und ihre Marke „Bradkid“ kam seit dem Start im Jahr 2001 bei den Leuten gut an. Das Geschäft lief nicht schlecht, ihre Kunden kamen, wie das bei digital abgewickelten Verkäufen üblich ist, aus aller Welt. Nicht selten hatte sie auch mit Amerika zu tun. Eines Tages, es war der 3. Juli 2003, saßen wir zu Hause im Wohnzimmer, als erneut Post aus den USA kam. Manu dachte zunächst, es wäre eine Rechnung oder ein Auftrag von einem ihrer internationalen Bradkid-Kunden. Als sie dann sah, dass der Umschlag in Kentucky verschickt worden war, bekam sie sofort ein mulmiges Gefühl. Sie öffnete den Brief und wurde kreidebleich, warf ihn auf den Tisch und sagte etwas atemlos: „Ich habe sie gewonnen.“ Es war sinnlos, nach weiteren Erklärungen zu fragen, jeder von uns wusste, was gemeint war.
Ich bekam sofort einen Stich ins Herz, denn in dem Moment wusste ich, „es ist vorbei“, das Schenefelder Paradies würde unwiderruflich geschlossen und von etwas Unbekanntem abgelöst werden. Eben schwebten wir alle noch in unserem wunderbaren Leben, und nun kam aus dem Nichts dieses große Stopp-Schild, das wir auch noch selbst bestellt hatten. Ich hatte ein fieses Gefühl im Bauch. Ich dachte noch, so ähnlich muss es sein, wenn man stirbt, das bisherige Leben rast in Bildern an einem vorbei. Es war absurd, dabei war es doch genau das, was wir uns gewünscht hatten, was wir mit aller Macht wollten. Aber wenn so eine weitreichende Nachricht dann erst einmal da ist und schwarz auf weiß vor einem auf dem Tisch liegt, nörgelt die Seele eben doch noch mal kurz spontan los.
Ich muss zugeben, im ersten Moment war es ein Schock und auch kein ausnahmslos schönes Gefühl. Vielleicht ist es so ähnlich bei einem Fußballspieler, der in einem tollen Verein spielt und das beste aller Leben genießt, aber unbedingt in einem noch größeren, seinem Traumverein spielen will. Und dann, an dem Tag, wo sich herausstellt, dass er wechseln kann und der Traumverein ihn haben will, fällt ihm für einen Moment das Herz in die Hose. Tausend Dinge rasten in Bruchteilen von Sekunden in meinem Kopf herum. Aber wir alle fingen uns schnell, zumindest äußerlich. Wir jubelten und tanzten um den Küchentisch herum. Denn genauso, wie wir wussten, dass wir uns nun täglich ein kleines Stück aus Schenefeld verabschieden würden, war auch klar, dass ein ganzes Land auf uns warten würde, das sich mit Konny Reimann und seiner Familie genau die Richtigen ausgesucht
hatte. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten will den Mann und die Familie der unbegrenzten Unmöglichkeiten? Nichts erschien logischer. Wir werden zusammenpassen wie Hamburg und der Hafen, wie Pech und Schwefel. Die Zukunft soll kommen. Her damit.
Nach ein paar Minuten der Besinnungslosigkeit war sogar Denken wieder möglich. Ich blickte in unsere kleine Runde am Küchentisch und meinte mit dem größtmöglichen Grinsen nur: „Na gut, dann müssen wir jetzt anfangen ...“
s war von Beginn an klar: wenn, dann ganz oder gar nicht. Unser ganzer Krempel, die ganze Werkstatt muss mit, alles große und kleine Werkzeug, der ganze Surf-Kram, einfach alles.
Natürlich haben wir sehr früh schon die Kinder gefragt, ob sie überhaupt Lust haben auf einen so entscheidenden Wechsel. Wir haben ihnen erklärt, was wir vorhaben, was das bedeutet, und sie haben sich Gott sei Dank schnell dafür begeistert und zugestimmt. Ehrlich gesagt – selbst bei einem „Nein“ von ihnen hätten wir’s gemacht, es gab nach dem Gewinn der Green Card einfach kein Zurück mehr. Es sollte so kommen, also mussten wir das durchziehen. Aber spätestens nach unserem zweiten gemeinsamen 3-Wochen-Urlaub, der im Sommer 2002 folgte, waren Jason und Janina ohnehin genauso begeistert wie wir.
Auch beim Ort gab es keinerlei Zweifel. Gainesville hat uns allen von Anfang an gefallen. Wir hatten in der Gegend mit Jan zumindest einen persönlichen Kontakt, und schon bald stand fest, dass wir
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