Konny Reimann
Tag einzustellen, und gab ihr weit mehr Auskünfte als eigentlich nötig. Wir reisten schon einen Tag früher an und übernachteten alle in einer Jugendherberge, die schön günstig war. Für so einen kurzen Trip wollten wir nicht extra in einem Hotel absteigen, um pünktlich am nächsten Tag vor der Tür vom Konsulat zu stehen.
Um sieben Uhr früh standen wir wie angespitzte Bleistifte vorm Eingang, außer uns waren noch acht andere Leute da. Das Konsulat war weiträumig abgesperrt. Noch durften wir nicht weiter, erst eine halbe Stunde später ließ man uns von der Hauptstraße zum Konsulat selbst laufen, um dort erneut in der sich bildenden Schlange zu warten. Hier waren wir aber immer noch nicht am Ziel; noch konnten Dinge schiefgehen, die Anspannung war spürbar. Reisepässe und Einladung vorzeigen, dann weiter zum eigentlichen Eingang, erneut Reisepässe und Einladung, dann Einlass, aber nur in 4erGruppen. Innen dann eine Prozedur wie am Flughafen: alle Taschen leeren, Jacken in eine Box, Regenschirm abgeben. Nächste Station war der Kassierer, bei dem wir für uns vier 1.740,– Dollar Gebühr bezahlten. Bei allen 50- und 100-Dollar-Scheinen musste man die Banknotennummer auf ein Formblatt schreiben. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Ich war froh, dass sie nicht auch noch unsere Freischwimmerzeugnisse haben wollten. Immerhin, ein erstes Zeichen der Empathie bei all der Bürokratie und nervlichen Belastung war der Kassierer, der Manu zunächst mal zum Gewinn der Green Card gratulierte. Man konnte in ihrem Gesicht lesen, wie gut ihr das tat. Dann aber weiter zum nächsten Schalter, Schalter 21, wo wir unsere Fotos abgeben mussten, je ein Mal frontal 5 x 5 Zentimeter und ein Mal seitlich 3,5 x 4 Zentimeter. Schließlich noch auf einem Stück Papier unterschreiben, und die nächste Stufe war auch erledigt. Danach warten. Irgendwann wurden wir aufgerufen. Ab zu einem neuen Schalter, wo es galt, alle Dokumente und Kopien vorzuzeigen und ein paar davon abzugeben. Auch hier lief alles nach Schema F, keine besonderen Vorkommnisse. Wieder warten. Aber jetzt kam es drauf an, denn die nächste Station war der Konsul selbst. Das Interview. Manus Nervosität stieg an wie ein Fieberthermometer. Monate waren vergangen, seit wir den positiven Bescheid erhalten hatten. Alle Vorkehrungen waren getroffen, die Umkleidekabine vom einen zum nächsten Leben seitdem gedanklich und auch praktisch von uns dauerhaft besetzt. Der Parcours, der uns ins Ziel führen sollte, war noch nicht zu Ende, aber der Wassergraben mit der Green Card war bereits überwunden. Sicher, der Umzug würde noch mal eine große Anstrengung werden, aber hier, an dieser Stelle, am Nadelöhr Konsulat, beim Konsul selbst, leuchtete noch einmal ein unsichtbares Fragezeichen. Es war ein Sprung, der sitzen musste.
Dann kam schließlich der Aufruf. Desk 18. Unser Konsul war eine Frau. Eine „Konsulin“. Erste Handlung an Desk 18: Fingerabdrücke. Wir pressten alle vier unsere Finger ganz modern auf ein kleines Viereck und wurden gescannt. Danach schworen wir mit den Pfoten in der Luft auf die amerikanische Verfassung und mussten versichern, dass all unsere Angaben korrekt seien. Schließlich kam die erste Frage:
„Warum wollen Sie in die Vereinigten Staaten?“
Was für eine Frage. Warum wollten wir in die Vereinigten Staaten? Och, nur mal so, nur mal sehen, was so los ist. Sie hätte auch fragen können, was macht den Himmel blau? Oder: Wieso hat ein Kreis keine Ecken und warum haben manche Menschen eigentlich braune Haare? Vielleicht war das ja so gedacht, aber eine so allgemeine Frage hatten wir nicht erwartet. Manu hatte keine Zeit, viele Antworten in ihrem Kopf zu prüfen, also tat sie das einzig Richtige und sagte: „Weil es ein schönes Land ist und wir sehr, sehr gerne dort sind.“
Es war die Wahrheit, und dennoch sah Frau Konsul uns eher kritisch an. „Haben Sie Familie dort?“
„Nein!“
„Wo werden Sie dort leben?“
„Wir wollen uns in Texas ein Haus kaufen.“
„Haben Sie hier in Deutschland ein Haus?“
„Ja.“
„Wollen Sie das Haus verkaufen?“
Irgendwie lief das Gespräch nicht so entspannt, wie wir uns das gewünscht hätten. Aber Manu beantwortete alles wahrheitsgemäß und tat ihr Bestes, dabei seriös und entschlossen zu wirken. Das Ziel der Befragung zeichnete sich immer deutlicher ab: Hier sollte an Ort und Stelle überprüft werden, was vorher anhand von ausgefüllten Papierbögen nicht sichtbar gewesen war. Wer
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