Konny Reimann
war es ja sehr ungewiss, wann wir beide überhaupt wieder in Lohn und Brot stehen würden. Doch finanziell hatten wir ohnehin etwas vorgesorgt. Wir mussten keine Schulden machen, hatten Geld aus einer Erbschaft von Manus Vater und eigene Konten, die das Schlimmste verhindern würden. Großartige Werte hatten wir ansonsten nicht. Bereits drei Jahre vor dem Auswandern hatten wir uns einen sogenannten Airstream-Wohnwagen gekauft. Das war ein silberner Trailer mit einer wunderbar runden Form. Meine Vorliebe für amerikanische Fahrzeuge erstreckte sich auch auf fahrbare Behausungen. Eigentlich wollten wir das Teil vor Amerika wieder verkaufen, hatten auch sehr schnell mehrere Interessenten gefunden, als ein klitzekleines Problem auftrat: Kein Käufer hatte das richtige Zugfahrzeug für den Wohnwagen. Der Airstream war kein Bollerwagen, und es gab nur zwei Fahrzeugtypen, die die silberne Schönheit überhaupt fortbewegen konnten: Ein Land Rover oder ein Pick-up. Die potentiellen Käufer mussten mit traurigen Gesichtern und leeren Händen wieder von dannen ziehen, ihre PKW waren einfach nicht stark genug. Also disponierten wir um: Der Airstream passte ja brillant zu unserem eigenen Pick-up. Es wäre unsinnig gewesen, ihn in Deutschland stehen zu lassen. Wir rechneten durch, was eine Überführung nach Amerika kosten würde, und kamen zu dem Schluss, dass es klüger wäre, ihn mitzunehmen. Da wir zudem wussten, dass ein solcher Wohnwagen in Amerika einen hohen Wert hat und äußerst populär ist – Pick-ups werden dort viel mehr gefahren als in Deutschland –, würde er sich dort immer noch verkaufen lassen. Es war schon etwas absurd – eine amerikanische Firma baute die Dinger für den europäischen Markt, und wir planten, die Kiste gleich wieder aus Deutschland mit nach Amerika zu nehmen.
Etwas Geld im Rücken zu haben war schön, aber wir wären auch ohne Geldpolster ausgewandert. Uns kam es nicht darauf an, einen Schritt in eine absolut sichere Zukunft zu machen. Der Schritt an sich war wichtig. Amerika war wichtig. Wirklich wissen, wie lange wir mit der Kohle auskommen würden, konnten wir eh nicht. Katastrophen können immer passieren. Ich könnte einen tollen oder einen absolut miesen Job bekommen oder auch gar keinen. Es war uns und mir egal. Wer vor so etwas Angst hat, hat schon verloren. Das vorhandene Geld machte natürlich trotzdem vieles leichter, da wir wussten, dass wir nicht sofort von morgens bis abends würden ackern müssen.
ür unsere Freunde war der Abschied vermutlich noch schwerer als für uns. Die besten von ihnen wollten uns nur ungern ziehen lassen, schlicht und ergreifend weil sie wussten, dass es funktionieren würde und wir nie zurückkehren würden. Und auch ich sagte mir: Wenn ich gehe, komme ich nicht wieder. Irgendwer meinte noch zu mir: „Konny, wenn du auswanderst, wirst du Millionär, das wissen wir!“ So ganz ist das noch nicht in Erfüllung gegangen, aber im Prinzip hatten sie Recht. Ich fühle mich wie ein Millionär. Aber ich fühlte mich auch in Hamburg als Millionär, und in Texas hat sich das nicht geändert. Jeder, der das Leben mit beiden Händen greift und es auspresst wie eine Zitrone, wird das von sich behaupten können.
Denn auch wenn auf meinem Konto keine sieben Stellen vor dem Komma auftauchen, mein wichtigstes Konto führe ich in mir, und jeden Monat lege ich etwas mehr Erfahrung auf die hohe Kante. Ich bin mir sicher, dass ich 123 Jahre alt werde, daher ist noch viel Platz.
Aber man muss dabei auch den Mut haben, Dinge hinter sich zu lassen. Mit all den Abenteuern, die ein Comic-Held wie „Werner“ nur in seinen Büchern und auf der Leinwand erlebt hat, den Wochenendfahrten nach Rømø und dem Blödsinn, den wir aus unseren Köpfen in die Realität scheuchten, war es eben jetzt vorbei. Doch es bleibt in meinem Gehirn gespeichert und ist in wasserdichten Koffern verpackt mit mir in die USA eingereist. Diese Zeiten machen mich zu einem gefühlten Millionär. Und es würde neue Fantasien und Pläne geben. Vielleicht noch bessere Abenteuer. Es würden andere tolle Erlebnisse kommen, die ausgelebt werden wollten. Und sie kamen.
Eine richtige Abschiedsparty gab es nicht. Wir wollten kein Drama. Erst beim Containerpacken im August 2004, als ich alleine nach Deutschland zurückkam, wurden am Ende ein paar Flaschen in den Himmel gereckt. Prost. Ich muss los. Das war’s.
Ich glaube, ein paar Freunde waren traurig, weil es fortan niemanden mehr geben
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