Konny Reimann
einem Dokument da, dessen Urheber einzig und allein wir selbst waren, dreißig Seiten lang – die Gebrauchsanweisung für ein Atomkraftwerk kann kaum mehr Umfang haben. Vor uns hatte scheinbar noch niemand ein solches Tier von einem ins andere Land gebracht.
Damit hatte der Papageien-Marathon allerdings erst begonnen. Weiter ging’s zum Tierarzt, der Erwins Fitness unter die Lupe nahm. Die von ihm ausgestellte Bescheinigung musste danach zu einem Amtstierarzt, der wiederum seines Zeichens den Wisch absegnete. Das somit verifizierte Papier musste anschließend zur Quarantänestation nach Miami geschickt werden, auch dort bekam es einen neuen Stempel. Zurück beim deutschen Amtstierarzt versah dieser dann den Stempel der Amerikaner mit, genau, einem neuen Stempel. Vermutlich ein Stempel, der den US-Stempel als richtig und gut „abstempelt“. Diese Prozedur allein dauerte so lange, dass eine weitere Hürde hinzukam: All dieses Hin und Her soff die Zeit weg, zu viel Zeit, so dass wir einen Freund von uns als Erwins Besitzer und somit seine Wohnung als Zieladresse der Papiere angeben mussten, da ich lange wieder in Amerika sein würde, wenn der Papiersturm vorüber wäre. Und obgleich es vorher Wochen gedauert hatte, musste der letzte Stempel innerhalb von ein bis zwei Tagen auf das Papier kommen, denn Erwin sollte nun auf einmal sehr schnell mit dem erwähnten Zeugnis seiner körperlichen Unversehrtheit nach Miami. Die Quarantänestelle wollte sich dort rechtzeitig von unserem Vogel ein Bild machen, damit seine Quarantänezeit beginnen konnte. Ein sogenannter „Broker“ holte Erwin vom Flugzeug ab und brachte ihn in einer einstündigen Zeremonie durch den Zoll. Ob sie den Vogel nach Schusswaffen durchsucht haben, weiß ich nicht. Da wir vorher pflichtgemäß alles bezahlt hatten, konnte der arme Papagei schließlich in Quarantäne gehen. Einen Monat wurde er, soweit wir das feststellen konnten, gut behandelt und am Ende für gesund befunden. Schließlich brachte ihn erneut ein Broker zum Flughafen und setzte ihn ins Flugzeug nach Dallas, wo wir ihn abholten. Nicht ohne Zweifel, ob der Kleine das alles gut überstanden haben würde, fuhren wir dorthin, aber als Erwin uns sah, fing er an zu trällern und schmetterte uns seine ersten Englischkenntnisse entgegen und die einzigen zwei Wörter, mit denen man die ganze Prozedur quittieren konnte: „So what?“ Er hatte die Zeit tatsächlich genutzt, um Englisch zu büffeln beziehungsweise die Worte aufzuschnappen, die ihm wichtig erschienen.
Als Erwin am 18. November 2004 bei uns ankam, hatten wir zwei Broker, vier Konsulate und insgesamt sechs Ärzte, ein Ministerium und diverse Behörden, eine Frachtfirma, einen Freund und viele eigene Nerven sowie einen Papageien-Pfleger hinter uns gelassen. Letzterer ging mit den legendären Worten „Der Vogel ist gebucht“ am 18. Oktober 2004 in unsere Geschichte ein. Hätte mein gefiederter Freund im Detail mitbekommen, was für ein langer und beschwerlicher Weg vor uns lag und wie wir, der Verzweifelung nahe, hartnäckig blieben, müsste er uns eigentlich heute noch dafür jeden Morgen küssen.
Im Gegensatz zu der Ausreise von Erwin war das Übersiedeln von Murphy geradezu ein Kinderspiel. Vielleicht sind den Amerikanern Hunde weniger suspekt, vielleicht übertragen sie weniger gefährliche oder gar keine Krankheiten, vielleicht plappern sie aber auch einfach keine nationalen Geheimnisse aus? Wie dem auch sei, Murphy, der es gewohnt war, in den Wäldern und Wiesen und Feldern rund um Schenefeld viel Auslauf zu haben, kam auch in Texas schnell zurecht. Zunächst hatte er bei unserem ersten Haus den Garten für seine sportlichen Aktivitäten. Nun am Moss Lake gibt es für ihn ein Riesengrundstück mit Rasen, Treppen und vor allem seinem inzwischen geliebten See. Sein neuestes Steckenpferd ist es, vom Bootssteg seine Stofftiere zu Wasser zu lassen und sie kurz vor dem Davontreiben und dem sicheren Untergang schwimmend zu retten und uns triefend an Land zu bringen. Sollten wir je in Seenot geraten, weiß Murphy alleine, ob er auch uns derart retten würde. Damals, in den Anfangstagen unseres Lebens in Amerika, kam Murphy jedenfalls wohlbehalten und nur etwas verschüchtert nach seiner Reise am 12. August 2004 in Gainesville an. Erst hier erlaubte sich der disziplinierte Hund wieder, sein Geschäft zu verrichten. Die Transportbox im Flugzeug war ihm dafür wohl, genau wie der Flug selbst, etwas suspekt
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