Konny Reimann
unserem Weg auftauchte.
7. MOSS LAKE
n Texas haben mehr als 50 % der Menschen deutsche Vorfahren. Einige dieser Familien haben Wurzeln, die bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreichen, aber nicht wenige resultieren aus einem Neuanfang, den deutsche Kriegsgefangene des Zweiten Weltkrieges hier nach dessen Ende gewagt haben. Auf der Landstraße 1201 sieht man noch die gespenstischen Überreste vieler Keimzellen dieser deutschen „Einwanderer“: Kleine Beton-Stummel – kleine Stelen, aus denen dünne, kurze Eisenstangen ragen – kauern auf den Feldern, oft in Straßennähe hinter den Zäunen der Felder. Sie erinnern an die vielen Gefangenenlager aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Deutschen mussten sich diese Lager selbst bauen und wohnten darin. Zunächst denkt man an alle möglichen Arten von Lagern und Baracken und erschrickt sich. Aber die Amis haben die Deutschen durchaus gut behandelt, diese durften während ihrer Gefangenschaft in die Stadt und waren auch danach in den USA willkommen. Sie haben sich hier ihre neue Existenz aufgebaut, Familien gegründet und waren am Ende natürlich begeistert, wie schnell sich ihr Blatt gewendet hatte. Es war der totale Kontrast zum totalen Krieg. Statt zermürbender Arbeitslager mit unbestimmtem Ausgang und dem Hass der Einheimischen spürten sie, dass sie wie Menschen behandelt wurden, die genauso unter dem Krieg zu leiden hatten wie die Sieger. Keiner der Soldaten, die hier die Chance hatten, ein neues Leben zu beginnen, hat das je vergessen.
Später wurden die Baracken wieder abgerissen, nur hier und da stehen heute noch einsame Schornsteine mitten auf einem Feld, umgeben von einer kleinen Gruppe Stelen, die stumm an die Vergangenheit denken und die wenigen Wolken am Himmel zählen.
So sahen die Bilder aus: die stummeligen Stelen und die Schornsteine, die vereinzelten Kühe und Farmen, ab und an ein paar Briefkasten-Armeen, die auf einmal am Straßenrand in Reih und Glied stehend auftauchen, für Häuser, die etwas ab vom Schuss liegen; dazu Rehe, Kojoten, Geier, Hasen und Eichhörnchen, aber auch Stink- und Gürteltiere oder hier und da ein Opossum ... Das waren die Bilder, die ich von November 2005 an fast jeden Tag sah. Es war die Route zum Moss Lake. Der Weg in unsere neue Heimat, zu unserem neuen Grundstück.
exas, speziell der Norden von Texas, ist eine ziemlich trockene Gegend und nicht eben bekannt für seine üppigen Wasserlandschaften. Irgendwann nach mehreren Monaten, die wir bereits in Gainesville lebten, mussten wir abends eine Freundin von Janina nach Hause bringen. Wir fuhren in eine Gegend, die wir vorher noch nicht gesehen hatten, und setzten das Mädchen an ihrer Tür ab. Hinter dem Haus ihrer Eltern entdeckten wir etwas, von dem ich vorher nichts gewusst hatte. Keiner von uns. Ein versteckter See, den sogar die meisten Karten von der Gegend vergessen hatten. Wunderbar gelegen, ideal, um darauf Boot zu fahren, darin zu schwimmen, einfach am Ufer zu sitzen oder allerlei Unsinn zu treiben. Ein See, der etwas verborgen ein paar Kilometer im Nordosten von Gainesville lag. Moss Lake!
Als wir Moss Lake entdeckten, konnte sich mein Hang zum Wasser nicht mehr länger in mir verstecken. Das Hamburger Kind in mir kam zu mir gelaufen und zog an meinem Hosenbein, als wolle es dringend ein Eis haben. Es erinnerte mich an die Alster, an meine langen Sommer in Hamburger
Gewässern, an die Paddeltouren und all das. Erst später kamen wir, erneut angeregt durch Dagmar, auf die Idee, dass man hier eigentlich auch sehr gut leben könnte. Dagmar war es am Ende auch, die bei einem ihrer Dreh-Besuche sagte, wir sollten doch mal nach einem Grundstück dort suchen. Vorher hatten wir nicht ganz zu Unrecht angenommen, dass die Preise für derartiges Besitztum nicht wirklich unsere Kragenweite wären. Aber unsere Maklerin Rita Greer konnte uns eine Tür öffnen, und wir lösten ein Ticket in eine weitere neue Welt. Rita wohnte, wie wir auch erst zu dieser Zeit erfuhren, ebenfalls an dem künstlich angelegten See.
Kaum hatte Dagmar damals die Idee mit Moss Lake ausgesprochen, riefen wir auch schon Rita Greer an und erkundigten uns nach den Chancen, an dem See etwas zu finden. Es war bei ihrem Optimismus und ihrer professionellen Einstellung wenig überraschend, dass sie meinte, das sei kein Problem. Sie sah durchaus Chancen, dass wir fündig werden könnten. Die aufkommende Routine in unserem Abenteuer USA schien schnell wieder neuen
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