Konny Reimann
bekam: „Braucht ihr das noch?“
Ich war weder ein großer Pianist noch drauf und dran, einer zu werden, aber in eine ordentliche Hafenkneipe gehört ein Klavier, und dieses Exemplar verlangte danach, mitgenommen zu werden. Es war Jahrgang 1955, also genauso alt wie ich. Die Notwendigkeit, es zu uns zu nehmen, war offensichtlich.
„Nee. Willste haben?“, war die knappe Antwort von Franz.
Ich musste das „Ja“ fast nicht mehr aussprechen – schon waren wir dabei, das gute Stück auf unseren Pick-up zu laden. Zwischen der Entdeckung und der Inbesitznahme waren keine zwei Minuten vergangen. Beate und Franz hatten kein Interesse an dem Klavier und spielten selbst nicht darauf. Sie fanden die Idee charmant, dass es nun sein Dasein stilecht in einer Hafenkneipe an einem See fristen würde. Natürlich war das Klavier verstimmt und auch sonst etwas gebrechlich, aber nichts anderes erwartet man in einer Taverne wie unserer, oder?
Im selben Jahr war ein Paar namens Beate und Rainer P. (also nicht die Beate von Franz) mit ihren Kindern Vanessa und Simon zu Gast im Haus Blankenese. Es war Ende August. Der besagte Sommer steuerte langsam auf einen wie immer milden Herbst in Texas zu. Eines Abends saßen wir, wie oft mit unseren Gästen, vor der Hafenkneipe auf der Holzterrasse. Der See war mucksmäuschenstill, als wolle er zuhören, was wir uns erzählen. Wir hatten Fleisch auf dem Grill, und nach einem langen, anstrengenden Tag waren wir alle etwas erschöpft. Die Beleuchtung war an, die kleinen Lichterketten bildeten wie immer ein wildes Leuchtmosaik mit den Glühwürmchen, und die Atmosphäre war merkwürdig unheimlich. Ich merkte fast gar nicht, dass Beate in die Kneipe gegangen war. Das Fleisch knisterte etwas auf dem Grill vor sich hin, das Bier kühlte einem für einige Augenblicke die Hand. Einen Moment später drang Klaviermusik nach draußen. Es war, als würden die Töne fast sichtbar durch die Tür hinaus und an uns vorbei auf den See schweben. Wie Geister. Beate hatte angefangen, auf unserem rostigen Klavier alte Hans-Albers-Lieder zu spielen, was den Eindruck nur noch verstärkte. Endlich war es so weit: Das alte „upright piano“, wie man so was hier nennt, konnte etwas von dem Zauber ausstrahlen, der ganz offensichtlich in ihm wohnte. Ich habe schon viel erlebt in meinem Leben, aber ein derart magischer Moment mit einer ähnlichen Stimmung wie an diesem Abend war selten. Wir saßen eine Weile so da und lauschten der wie aus einem alten Fass dringenden Musik und konnten unser Glück nicht fassen.
Danke dafür, Beate. Und danke, Moss Lake.
chon als kleiner Junge wusste ich mir mit der Kraft meiner Arme zu helfen. Ich erinnere mich an eine Situation, als meine Mutter hochschwanger im Krankenhaus lag und ich eine Zeitlang in einem Heim wohnte. Für eine Theateraufführung des Heims musste ein schwerer Schrank verrückt werden, also holten ein paar Kinder Hilfe. Währenddessen rückte ich den massiven Holzschrank selbst dahin, wo er hin sollte. Die Erwachsenen und die anderen Kinder staunten nicht schlecht, als sie zurückkamen. Erst wollte es keiner glauben, dass ich das Ding alleine verschoben hatte, aber außer mir war keiner im Raum gewesen.
Das vor wenigen Monaten fertiggestellte Haus Blankenese war wie dieser Kleiderschrank. Es fiel eine gewisse Last von mir ab, als Blankenese fertig war, aber schon ratterten meine Gedanken von Neuem und wollten nicht stillhalten. Die Gästehaus-Idee war gut, sie machte und brachte Spaß und nicht zuletzt auch Geld. Bei allem Vergnügen mussten wir natürlich auch immer daran denken. Denn bei Licht betrachtet bewegten wir uns weiterhin zwischen Konkurs und Erfolg. Alles konnte noch schiefgehen, weder war etwas finanziell in derart trockenen Tüchern, dass wir uns hätten zurücklehnen können, noch wollten wir das. Der Arbeitstag bestand nach wie vor aus sechzehn Stunden harter Arbeit; mal aufhören und wirklich genießen war nicht drin. Aber mit Grips, Willen und Muskelkraft würde es weitergehen. Wie immer.
ir entschieden uns also, ein zweites Gästehaus zu bauen. Das Gelände war groß genug und unser Eifer noch lange nicht erschöpft. Natürlich sollte auch irgendwann unser eigenes, großes Haus oben auf dem Hügel drankommen. Aber ich sagte zu Manu, dass das auch noch ein Jahr warten könne. Die Buchungen für Blankenese liefen sehr gut, selbst als es noch gar nicht fertig war. Und obwohl ich natürlich darauf brannte, mit unserem eigenen
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