Konny Reimann
Jan musste sich sogar einen Anwalt nehmen, um ausgelöst zu werden, und auch Werner half ihm aus der Patsche, behielt jedoch Jans Auto und Werkzeug als Pfand für ein paar Gefallen in der Angelegenheit. Jan musste das Land daraufhin sofort verlassen, wurde mit einem wer weiß wie lange geltenden Einreiseverbot belegt, und sein Auto und auch sein Werkzeug warten bis heute tapfer auf ihren früheren Besitzer und bessere Zeiten. Vermutlich ist er jetzt wieder irgendwo in Deutschland. Tief in meinem Herzen mag ich diese Art von verrückten Typen ja, ich hab ja genug schrägen Kram mit ihnen unternommen. Aber an gewissen Punkten im Leben muss man irgendwann mal die Rolle eines Erwachsenen einnehmen.
Auch der Kontakt zu meiner eigenen Familie ist inzwischen auf ein Minimum reduziert. Zu meiner Mutter und meiner Schwester habe ich seit Längerem keinen Draht mehr, während das Verhältnis mit meinem Bruder entspannt ist. Stiefvater Nothmann ist längst tot. Mein Vater, ich hatte das weiter vorne erwähnt, kommt bald zu Besuch. Ich freue mich sehr darauf.
b Telefonanrufe, E-Mails, Menschen am Gartenzaun, über Internetforen oder Postkarten für die Hafenkneipe, wir bekommen immer noch derart viel Rücklauf, dass naturgemäß auch ein paar dabei sind, bei denen man sich ein Schmunzeln nicht verkneifen kann. Manchmal sind es Verrückte, manchmal schlicht Spaßvögel oder Gelangweilte, ab und zu verirren sich auch wirklich tragische Geschichten zu uns, neben all den vielen tollen Zuschriften mit Zuspruch und mutmachenden Kommentaren.
Es gab aber auch schon Schreiben, die von allem ein wenig hatten und die einen neben dem vordergründigen und unfreiwilligen Humor, den sie ausstrahlten, auch nachdenklich zurückließen. Eine Frau schrieb uns beispielsweise, dass sie und ihr Mann ebenfalls nach Amerika ausgewandert seien, nicht zuletzt, weil sie uns als eine Art Vorbild ansahen. Sie waren keine fünf Tage hier, da legte sich die Frau eines Nachmittags mit Kopfschmerzen ins Bett. Als sie aufwachte, war ihr Mann verschwunden – und ist seitdem auch nicht mehr aufgetaucht. Sie wartete, aber er kam nicht mehr zurück. Speziell ihr Mann hatte wohl immer davon gesprochen, dass er Konny gerne mal kennenlernen wollte. In dem Brief an uns fragte sie nun, ob er sich vielleicht in einem unserer Häuser aufhalten würde und ob wir helfen könnten?
Ähnlich verlief die Geschichte einer anderen Frau, deren Mann ebenfalls das Weite gesucht hatte, und das Weite war in diesem Fall Denton. Er hatte sie anscheinend mit Kindern in Deutschland zurückgelassen. Ihre Frage war nun, ob wir nicht nach Denton fahren und ihrem Mann etwas Vernunft einreden könnten.
Wieder jemand erzählte uns, dass er in Deutschland einen Schamanen-Indianer gesehen hätte. Dieser lebe, so die vorliegenden Informationen, jetzt in New Mexico. Der Staat sei doch ein Nachbarstaat von Texas, ob wir so nett sein könnten, ihn ausfindig zu machen?
Und das waren nur ein paar Auszüge aus den teilweise absurden Mitteilungen und Briefen, die wir bekamen. Meistens steht tatsächlich eine tragische Geschichte dahinter. Aber so traurig das auch ist, wir können nicht helfen. Wir können weder nach Denton noch nach New Mexico fahren. Wir sind hier am Moss Lake fest installiert und fangen ohnehin schon eine Menge seltsamer Vögel ein, ob wir wollen oder nicht.
uch nach über vier Jahren haben wir noch keinen Notfallplan. Die Tür ist zu. Hamburg ist Geschichte, unser altes Leben ein wunderbares Fotoalbum, aber wir haben keinen Gedanken daran verschwendet, zurückzukehren. Irgendwann mal am Anfang meinte ich zu Manu: „Wenn alles schiefgeht, packen wir unsere Koffer und fangen in Hamburg neu an, wir könnten das“, aber natürlich war das keine Option. Ein Scheitern stand nicht in unserem ungeschriebenen Drehbuch. Man muss für sich selbst sorgen, egal wo. Und wenn wir es nicht schaffen, wer dann?
Ich weiß noch, dass ich mich schon ganz früh nicht auf andere verlassen wollte. Hatte ich in jungen Jahren einen Job beendet, meldete ich mich pflichtgemäß beim Arbeitsamt, allein um dem offiziellen Weg Genüge zu tun, aber immer hatte ich am nächsten Tag schon selbst eine neue Arbeit gefunden. Also rief ich beim Amt an und gab Bescheid. Die Frauen am anderen Ende der Leitung konnten das nie fassen – „Wie? Das geht doch nicht! Dazu sind wir doch da? Was sollen wir denn jetzt machen? Und wie sollen wir das abrechnen?“ – „Braucht ihr nicht“,
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