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Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Titel: Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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unter einem golddurchwirkten Schal versteckt. Und Gunder wußte, daß er eine Inderin wollte. Nicht, weil er sich eine fügsame und unterwürfige Frau wünschte, sondern, weil er eine Frau suchte, die er auf Händen tragen konnte. Norwegerinnen wollten das nicht. Eigentlich hatte er sie nie verstanden, er begriff einfach nicht, was sie wollten. Denn er hatte doch alles zu bieten, fand er. Er hatte Haus und Garten und Auto und Arbeit und eine komplett eingerichtete Küche. Sein Badezimmer hatte Fußbodenheizung, sein Wohnzimmer Fernseher und Video. Er hatte Waschmaschine und Trockner, Spülmaschine und Mikrowelle, guten Willen und Geld auf der Bank. Gunder wußte natürlich, daß es auch andere, eher abstrakte Faktoren gibt, die über das Glück in der Liebe entscheiden, dumm war er schließlich nicht. Aber dieses Wissen half ihm nicht, es ging ja schließlich um Dinge, die nicht gelernt oder gekauft werden konnten. Deine Zeit kommt auch noch, hatte seine Mutter immer gesagt, als sie in ihrem großen Krankenhausbett langsam gestorben war. Seinen Vater hatte er schon längst verloren. Gunder war mit zwei Frauen aufgewachsen, mit seiner Mutter und seiner Schwester Marie. Mit siebzig Jahren war im Gehirn der Mutter eine Geschwulst entdeckt worden, und die alte Frau war oft über lange Zeit hinweg nicht sie selber gewesen. Gunder hatte dann geduldig auf die Mutter gewartet, die er kannte und liebte. Deine Zeit kommt auch noch. Du bist ein lieber Junge, Gunder. Eines schönen Tages läuft auch dir die Richtige über den Weg.
    Aber über seinen Weg lief rein gar nichts. Und deshalb entschied er sich für die Reise nach Indien. Er wußte, daß Indien ein armes Land war. Vielleicht gab es dort eine Frau, die sein Angebot, ihn nach Norwegen zu begleiten, in sein schönes Haus, einfach nicht ablehnen konnte. Ihre Familie könnte dann auf seine Kosten zu Besuch kommen, wenn sie das wünschten. Er wollte niemanden voneinander trennen. Und wenn sie irgendeine komplizierte Religion hatte, würde er sie ganz bestimmt nicht daran hindern, deren Rituale zu befolgen. Er würde eine Engelsgeduld an den Tag legen. Wenn er nur eine Frau bekäme!
    Es gab auch andere Lösungen. Aber er traute sich nicht, sich zusammen mit fremden Männern in einen Bus nach Polen zu setzen. Und er wollte auch kein Flugzeug nach Thailand nehmen. Über das, was dort passierte, waren zu viele Gerüchte im Umlauf. Er wollte seine Frau ganz allein finden. Alles sollte dabei auf ihn ankommen. Die Vorstellung, in Katalogen mit Bildern und Beschreibungen der unterschiedlichsten Frauen zu blättern oder in einen Fernseher zu glotzen, in dem sie sich der Reihe nach anboten, war für Gunder einfach unmöglich. Dabei würde er sich niemals entscheiden können.
    Das Licht der Leselampe wärmte seinen fast kahlen Schädel. Im Weltatlas fand er Indien und die größten Städte. Madras, Bombay, Neu-Delhi. Am liebsten wäre ihm eine Stadt am Meer gewesen. Viele Inder sprachen Englisch, das fand er beruhigend. Einige waren sogar Christen, wie Gunder in »Die Völker dieser Erde« las. Es wäre wirklich das allergrößte Glück, eine Christin zu finden, die dazu noch Englisch sprach. Ob sie zwanzig oder fünfzig wäre, würde keine Rolle spielen. Mit Kindern rechnete er nicht, er war nicht anspruchsvoll, aber wenn sie eines hätte, wäre das auch kein Problem. Vielleicht würde er sie ja kaufen müssen. In anderen Ländern konnten ganz andere Sitten herrschen als in Norwegen, und wenn es etwas kostete, dann würde er auch bezahlen. Seine Mutter hatte durchaus einiges hinterlassen. Aber zuerst brauchte er ein Reisebüro. Er hatte vier zur Auswahl. Das eine lag im Einkaufszentrum und bestand lediglich aus einem Tresen, auf dem Kataloge auslagen, in denen die Kundschaft im Stehen blätterte. Gunder aber wollte sitzen. Für ihn ging es schließlich um eine wichtige Entscheidung, die nicht übers Knie gebrochen werden durfte. Er mußte sich für eines der drei Reisebüros in der Stadt entscheiden. Er schlug das Telefonbuch auf. Dann fiel ihm ein, daß Marie ihm einmal einen Reisekatalog vorgelegt hatte, um ihn in Versuchung zu führen. Ja, die Marie, dachte er und suchte im Inhaltsverzeichnis unter I. Ialyssos, Ibiza, Irland. Hatten die denn keine Reisen nach Indien? Er fand Bali im indonesischen Archipel, aber da wollte er nicht hin. Für ihn hieß es, Indien oder gar nichts. Er könnte auch einfach beim Flughafen anrufen und einen Flug buchen. Er würde schon zurechtkommen, das

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