Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie
es.
»Hervorragend«, sagte Gunder.
Nach der Arbeit suchte Gunder in der Stadt sofort einen Juwelier auf. Er suchte den Glastresen ab, doch dort gab es nur Ringe. Er bat um Trachtensilber, und die Verkäuferin wollte wissen, für welche Tracht. Gunder zuckte mit den Schultern.
»Ach, für irgendeine. Ich brauch doch bloß ein Schmuckstück. Es soll ein Geschenk sein. Aber die Dame hat keine Tracht.«
»Diese Schmuckstücke werden aber nur zu Trachten getragen«, verkündete die Verkäuferin im Lehrerinnenton.
»Aber es muß etwas aus Norwegen sein«, sagte Gunder. »Etwas echt Norwegisches.«
»Für eine ausländische Dame?« fragte die Verkäuferin.
»Ja. Ich dachte, sie könnte es zur landesüblichen Kleidung tragen.«
»Und was ist das für eine Kleidung?« fragte die Verkäuferin mit wachsender Neugier.
»Indischer Sari«, erklärte Gunder wichtig.
Hinter dem Tresen wurde es ganz still. Die Verkäuferin schien mit sich selber um eine Entscheidung zu ringen. Gunders charmante Hartnäckigkeit ließ sie nicht kalt, und sie konnte ihm natürlich nicht verbieten zu kaufen, was immer er wollte. Auch wenn es Regeln dafür gab, zum Beispiel von den Trachtenverbänden, was gestattet war. Doch ob unten in Indien irgendeine Frau mit norwegischem Trachtenschmuck an ihrem knallorangefarbenen Sari herumflatterte, würden die Trachtenverbände doch nie erfahren. Also öffnete sie die Schublade, in der das Trachtensilber aufbewahrt wurde, und fand eine mittelgroße Brosche. Dabei fragte sie sich, ob der hartnäckige Mann wohl über den Preis informiert sei.
»Und das kostet?« fragte Gunder.
»Eintausendvierhundert Kronen. Ich kann Ihnen diese aus Hardanger zeigen. Wir haben auch viel größere und viel kleinere. Aber an Saris gibt es in der Regel sehr viel Gold. Und deshalb sollten Sie etwas Schlichtes nehmen, finde ich. Wenn es überhaupt gut aussehen soll, meine ich.«
Ihre Stimme klang jetzt leicht ironisch, aber sie riß sich zusammen, als sie Gunder ansah. Er nahm die Brosche mit den klimpernden Silberplättchen vom Samtkissen und hielt sie zwischen seinen groben Händen. Hob sie ins Licht. Sein Gesicht nahm einen verträumten Ausdruck an. Ihr Herz wurde weich. Dieser Mann, dieser vierschrötige, schwere, verlegene Mann hatte doch etwas Bezauberndes. Sicher wandelte er auf Freiersfüßen.
Gunder wollte sich keine weiteren Schmuckstücke ansehen. Dann würden ihm nur Zweifel kommen. Also kaufte er das erste, das auch das beste war, und ließ es sich einpacken. Er wollte es zu Hause öffnen und noch einmal bewundern. Im Auto trommelte er auf dem Lenkrad herum und stellte sich vor, wie braune Finger das Paket öffneten. Das Papier war schwarz und wies kleine gelbe Sprenkel auf. Das Band darum war blutrot. Die Packung lag neben ihm auf dem Beifahrersitz. Er brauchte vielleicht noch Tabletten für die Reise. Für den Magen. Diese fremde Kost, dachte er. Reis und Curry. Scharf wie der Teufel. Und indische Währung. War der Paß überhaupt noch gültig? Plötzlich hatte er es eilig. Und beschloß, Marie anzurufen.
GUNDER WOHNTE IN EINEM ORT NAMENS ELVESTAD.
ELVESTAD hatte zweitausenddreihundertsiebenundvierzig Einwohner. Eine Holzkirche aus dem Mittelalter, restauriert 1970. Eine Tankstelle, eine Schule, ein Postamt und eine Kneipe. Die Kneipe war eine unschöne Mischung aus Baracke und Scheune auf vier Pfählen. Eine breite Holztreppe führte zur Eingangstür. Beim Hineingehen stand man sofort vor der Musikbox. Einer Wurlitzer, die noch immer funktionierte. Das Dach zeigte ein rotweißes Schild mit der Aufschrift »Einars Kro«. Abends leuchtete das Schild in grellen Neonfarben.
Einar Sunde hatte die Kneipe schon seit siebzehn Jahren. Außerdem hatte er Frau und Kind und Schulden bis über beide Ohren, woran ein protziges Schweizer Chalet außerhalb des Ortskerns schuld war. Inzwischen aber konnte er seine Schulden abtragen, weil er nun auch Bier ausschenken durfte. Aus diesem schlichten Grund war Einars Kro immer gut besucht. Er kannte die Leute aus dem Ort und führte seinen Laden mit eiserner Hand. Immer machte er die Geburtsjahre der jungen Leute ausfindig und hielt die Hand vor den Zapfhahn, wenn sie noch zu jung für Alkohol waren. Der Ort besaß auch ein Bürgerhaus, wo Hochzeiten und Konfirmationen gefeiert wurden. In der Umgebung lebten überwiegend Bauern. Dazu kamen einige Zugezogene, die mit dem schwärmerischen Traum vom friedlichen Landleben aus der ein Stück weiter gelegenen Stadt geflohen
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