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Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Titel: Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie
Autoren: Karin Fossum
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lag. Und es gab im ganzen Umkreis keinen Bauern, der seine Geräte nicht von Gunder gekauft hätte. Jetzt kam er gerade zur Tür herein und hatte die Hand schon in die Innentasche geschoben.
    »Wollte nur fragen«, sagte er verlegen und für seine Verhältnisse sogar ein wenig hektisch, »wie lange man wohl braucht, um von hier aus mit dem Auto zum Flughafen zu fahren.«
    »Nach Gardermoen?« fragte Einar. »Da mußt du mit anderthalb Stunden rechnen. Bei einem Auslandsflug mußt du eine Stunde vorher da sein. Also zweieinhalb. Und ich an deiner Stelle würde sicherheitshalber noch eine halbe Stunde dazugeben.«
    Er wienerte gerade einen dreieckigen Aschenbecher.
    »Morgenflug?« fragt er neugierig.
    Gunder fischte ein Cornetto aus der Gefriertruhe.
    »Zehn fünfzehn.«
    »Dann mußt du früh hoch.«
    Er drehte sich um und vertiefte sich wieder in seine Arbeit. Sunde war nicht freundlich, er lächelte nicht, sondern spielte konsequent die beleidigte Leberwurst und wich Gunders Blick aus. »Ich an deiner Stelle würde um sieben losfahren.«
    Gunder nickte und bezahlte. Er wollte lieber Einar fragen als der Dame von der Fluggesellschaft seine Unwissenheit einzugestehen. Einar kannte Gunder und würde ihn niemals in Verlegenheit stürzen. Doch schon am selben Abend würde der Ort von seiner Reise erfahren.
    »Soll’s weit gehen?« fragte Einar so ganz nebenbei und machte sich an den nächsten Aschenbecher.
    »Ungeheuer weit«, antwortete Gunder vage. Er riß das Papier vom Eis und ging. Aß, während er die letzten Kilometer zu seinem Haus fuhr. Jetzt hatte der Kneipier wirklich Grund zum Nachdenken. Und Gunder war das nur recht so.
     
    Marie war außer sich. Sie wollte sich sofort ins Auto setzen und herkommen. Ihr Mann Karsten war auf Dienstreise, und sie langweilte sich und wollte alles wissen. Gunder zögerte, denn Marie hatte einen scharfen Blick, und die Vorstellung, von ihr entlarvt zu werden, sagte ihm gar nicht zu. Aber sie ließ sich nicht beirren. Eine Stunde später stand sie in der Tür. Gunder räumte gerade auf. Wenn er nicht allein aus Indien zurückkehrte, mußte im Haus alles in schönster Ordnung sein. Marie kochte Kaffee und wärmte Waffeln auf. Sauerrahm und Marmelade hatte sie in einer Plastikdose mitgebracht. Gunder war gerührt. Sie standen einander sehr nah, aber sie ließen sich nichts anmerken. Er wußte nicht, ob sie mit Karsten glücklich war, sie erwähnte ihn nie, er schien gar nicht zu existieren. Kinder hatten sie nie gehabt. Aber sie sah gut aus. Dunkel und hübsch, wie früher die Mutter. Klein und rundlich, aber munter und lebhaft. Gunder meinte, sie hätte jeden haben können, aber sie begnügte sich mit Karsten. Sie sah auf dem Tisch das Buch »Die Völker dieser Erde« und nahm es auf den Schoß. Es öffnete sich automatisch bei dem Bild der indischen Schönheit. Und Marie sah ihren Bruder an und lachte.
    »Ja, jetzt begreife ich, was dich nach Indien zieht, Gunder. Aber dieses Buch ist alt. Die Frau ist jetzt sicher um die vierzig und runzlig und häßlich. Weißt du, daß Inderinnen wie fünfzehn aussehen, bis sie dreißig sind? Und dann sind sie plötzlich alt. Das kommt von der Sonne, verstehst du? Vielleicht solltest du dir eine suchen, die diesen Prozeß schon hinter sich hat. Dann weißt du, was du bekommst.«
    Sie lachte so herzlich, daß auch Gunder kichern mußte. Er hatte keine Angst vor Runzeln. Vermutlich im Gegensatz zu Marie. Sie hatte keine einzige, und dabei war sie schon achtundvierzig. Er strich Sauerrahm auf eine Waffel.
    »Mich interessieren vor allem Küche und Kultur«, sagte er. »Und Kunst. Musik. Das alles.«
    »Ja, das kann ich mir denken«, lachte Marie. »Wenn ich in Zukunft zum Essen komme, dann wirst du mir sicher einen Eintopf servieren, der mir bis in die Zehen hinunterbrennt. Und an deinen Wänden werden lauter Drachen hängen.«
    »Das kann ich nicht ausschließen«, sagte er lächelnd. Dann schwiegen sie lange, aßen Waffeln und tranken Kaffee.
    »Du darfst da unten deine Brieftasche nicht in der Gesäßtasche tragen«, sagte sie dann endlich. »Kauf dir so einen Gürtel mit Tasche. Nein, das ist nicht nötig, du kannst meinen leihen. Der ist ganz neutral, sieht überhaupt nicht nach Frau aus.«
    »Ich kann doch nicht mit einer Tasche durch die Gegend laufen«, widersprach Gunder.
    »Doch, das mußt du. In diesen großen Städten wimmelt es nur so von Taschendieben. Stell dir doch bloß so ein armes Landei vor, ganz allein in einer Stadt mit
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